Ceuta& Nordmarokko

Als Herkules, der antike Strongman, auf einer seiner zwölf Missionen vom Atlasgebirge der Weg versperrt wurde, teilte er kurzerhand den Berg in zwei -und somit Afrika von Europa. Soweit die griechisch-römische Mythologie. Als die sogenannten Säulen des Herakles, die dadurch entstanden, und die sich sogar im spanischen Wappen wiederfinden, werden weitestgehend die Felsen von Gibraltar und der Jabal Mousa westlich von Ceuta verortet. In alternativen Erzählungen wurde die Straße von Gibraltar von Zeus’ Sohn nicht geschaffen sondern schlicht verengt, um Seeungeheuer aus dem Atlantik fern zuhalten. Dreitausend Jahre später und in der Realität angekommen, fürchtet man nun keine Seeungeheuer mehr, sondern vor allem Migrant:innen, die die Meerenge durchqueren wollen. Dabei muss man den afrikanischen Kontinent gar nicht erst verlassen um nach Europa zu gelangen. 

Herkules-Statue in Ceuta

Nach zwei Tagen im Flixbus nahm ich von Algeciras an der andalusischen Küste die Fähre nach Ceuta. Eine Stunde Überfahrt über das Mittelmeer von Spanien nach Spanien. Rund 19 Quadratkilometer spanischer Enklave umgeben von der Landmasse Marokkos. In den überregionalen Nachrichten taucht Ceuta vor allem dann auf, wenn mal wieder eine größere Menge von Migrant:innen den Grenzzaun gestürmt hat. Außer einem Zaun verfügt Ceuta ebenfalls über eine mittelalterliche Festung, eine weitläufige Küste sowie recht sonniges Wetter. 

Über Couchsurfing kam ich bei Francisco unter, einem Mitte 50-jährigen Erzieher, der in einem Jugendknast arbeitete. Sein Haus lag etwas außerhalb, die Küste hinunter an einem Berghang mit Blick aufs Meer. Francisco selbst war in Ceuta aufgewachsen und nach dem Studium im hektischen Madrid mehr als erleichtert wieder zurückgekehrt. Ihm fehlte das Meer und die Vertrautheit und kurzen Wege trugen zu seiner Lebensqualität bei.  

Die erste Nacht, die ich bei ihm unterkam, teilte ich mir das Zimmer mit Natalia, einer Reisenden aus Moldavien, die tatsächlich auch auf dem (Land)weg nach, bzw. durch Westafrika war. Sie war allerdings um einiges schneller unterwegs als ich und wollte in einem Monat schon in Sierra Leone sein bevor ihr Visum dafür auslief.  

Samstagabend in Ceuta hieß für uns Tapas, Bier und eine Tour durch die Bars der Stadt.

Gegen 2 Uhr nachts vor dem Pub mit 80s Rock fand ich mich dann plötzlich in einem Gespräch mit einer Frau ü40 darüber wieder, warum sie ihrerseits niemals freiwillig nach Marokko fahren würde.

Bastion des Abendlandes (Ceuta)

Die umstehende Gruppe schien sich einig, dass die kulturellen Unterschiede zwischen konservativen Muslimen und ihrer buena vida schwer zu überbrücken seien. Letztens sei irgendwo auf dem spanischen Festland einer Frau im Minirock der Zutritt zu einem arabisch-geführten Café verwehrt worden. In einer Schule hier in der Stadt sei sogar Schweinefleisch vom Speiseplan gestrichen worden. Das ginge eindeutig zu weit. Im Gegensatz zu dieser Gruppe schien ein anderer Teil der Stadt dem Nachbarland allerdings etwas verbundener zu sein. Knapp die Hälfte der 84.000 Bewohner:innen der Enklave gilt selbst als muslimisch-arabisch, meist mit marokkanischem Hintergrund. Wenig überraschenderweise ist dieser Teil der Bevölkerung überproportional von der sowieso schon hohen Arbeitslosigkeit  (30%, 2023) betroffen. Was manch einen jenseits der Grenze jedoch nicht abzuschrecken scheint. Laut Franciscos Kumpel, der als Grenzschützer arbeitete, waren es aus Marokko vor allem minderjährige Jungs die kamen, da diese nicht wie die Erwachsenen wieder zurückgeschickt würden. Immer wieder erwähnten die Leute, mit denen ich über Migration sprach, vor allem diese Jugendlichen, die man häufig in Grüppchen in der Stadt sah. Viele davon ziehen es vor, sich selbst durchzuschlagen anstatt Unterkünfte in Anspruch zunehmen.

Grenzzaun

Neben Aufnahmezentren für Minderjährige gab es in Ceuta außerdem das CETI, die Unterkunft für Erwachsene. An meinem letzten Tag in Ceuta  nahm ich den Bus dorthin um es aus nächster Nähe zu sehen. Auf einer Mauer ein paar Meter entfernt vom CETI, lernte ich Balde kennen, der sich Drehtabak von mir schnorrte. Er war 21, aus Guinea Conakry und mittlerweile seit zwei Jahren in Ceuta, würde aber wahrscheinlich in den nächsten Wochen nach Festland-Spanien übersetzen können. Viele andere blieben allerdings nur ein paar Monate in Ceuta meinte er. Wir verbrachten schließlich den ganzen Nachmittag zusammen und er nahm mich später mit in die Sprachschule, in der Spanisch gelernt hatte und wo an diesem Tag ein Bootsausflug geplant war, damit die Neuankömmlinge die Stadt besser kennenlernten.

Taxi to Tangier  

Von Ceuta mit einem kollektiven Taxi nach Tanger. Dort würde ich eine Nacht in einem Hostel in der Altstadt bleiben und dann weiter zu einem Couchsurfer ziehen. Sobald ich mich der Altstadt näherte, bestätigte sich die Annahme, dass Tanger um einiges touristischer war als Ceuta. Im Labyrinth aus schmalen Gassen stand aller paar Meter ein verlorener Touri, dem irgendwelche Locals gegen Geld den Weg zeigen wollten.

Als ich auf einer Parkbank hinter der Stadtmauer saß, gesellte sich dieser Kollege hier zu mir:

Wie er mir erzählte, hatte er auf Kreuzfahrtschiffen, wie etwa der AIDA Rostock  gearbeitet und hatte sich außerdem auf einem Containerschiff in die USA schmuggeln lassen, wo er die goldenen Zeiten des Jazz’ miterlebt hatte. Nun sei er Künstler (Abstraktes und Landschaften), finanziell wie es mir schien allerdings weniger erfolgreich. Ich lud ihn zum Essen ein und am nächsten Tag fragte er mich nach etwas Geld. Wahrscheinlich nicht zum ersten Mal. In seinem Alter, war es wahrscheinlich noch die beste Strategie, ein paar Touris zu unterhalten, um über die Runden zu kommen.  

Der nächste bunte Vogel  begnete mir am Herd der Hostelküche, wo er sich gerade ein Omlett machte. Ich hatte eigentlich nur den Rest meiner Tajine in den Kühlschrank stellen wollen, als ich in ein Gespräch verwickelt wurde. Kevin war ein 68-jähriger Journalist und Autor, der vor zwei Jahren bis auf ein paar Kofferladungen seinen gesamten Besitz verkauft hatte und nun, wie er es nannte, auf Pilgerreise war.

Gespräch war eigentlich auch schon zu viel gesagt. Für die nächste Stunde war ich vor allem Zeugin seines lautgedachten Sinnierens über sein Leben, seine Reise und die marokkanische Kultur.  Aufgewachsen in einer christlich-konservativen Familie im US-Bundesstaat Mississippi hatte er ambitioniert seine Karriere aufgebaut (vor allem bei Vanity Fair), suchte nun jedoch nach der Tiefe des Lebens.  Wie er  erzählte, war es auf dem Jakobsweg gewesen, dass er aufgehört hatte, Christ zu sein. Und dieses – nicht das zu seiner Homosexualität oder zum HIV, sei das schwerste Bekenntnis seines Lebens gewesen. Nun war er seit zwei Monaten in Tanger und ließ (aus dem Hostel heraus) die Stadt zu sich sprechen. Den Gebetsruf aus nächster Nähe in der dichten Altstadt empfand er als aggressiv (ein Framing, das er sich auch nicht umbiegen ließ), aber war trotzdem sentimental über seine bevorstehende Abreise nach Paris.  

Wer  einen tieferen Einblick in Kevins Leben werfen will, sollte fündig werden. Er schreibt nicht nur eine private Kolumne, sondern postete auch ca. zehn Mal am Tag mit längeren Captions auf Instagram.    

 Über Couchsurfing blieb ich noch etwa zwei Tage in einem Neubaugebiet bei Mouad, einem technischen Ingenieur, der so gut wie ununterbrochen arbeitete, und schaute mir weitere Ecken der Stadt an. Dabei stieß ich auch wieder auf einen alten Bekannten:

Herkules Höhlen in Tanger

Nächster Stop:  Chefchaouen.  

Chefchaouen lag etwa 100 km süd-westlich von Tanger in den Bergen und sein touristischer Hauptwert schien darin zu bestehen, dass es zu einem erheblichen Anteil blau war.  

Die Häuserfassaden, Mauern, Treppenaufgänge und Fensterläden der Innenstadt, in blauer Farbe gestrichen, bildeten die perfekte Kulisse für Sommerkleid-Fotos für den Instagramfeed. Orangenbäume und die Straßenkatzen, die an jeder Straßenecke schlummerten rundeten das Ganze ab. Leider war Chefchaouen nicht nur blau, sondern durch seine geographische Lage auch vergleichsweise kalt und während meines Aufenthalts dazu noch nass. Am ersten Tag lief ich den nächsten Berggipfel hoch und schlenderte ein wenig durch die Altstadt, mit meiner Kamera in der Hand. Vor einem Barbershop stand ein vielleicht 17-jähriger in der Tür und beobachte mich interessiert. Ich machte ein paar Fotos von ihm, im und vor dem Laden, und gab ihm meine Nummer, damit ich sie ihm später schicken konnte. Als er sich meldete hatte er direkt eine weiteres Anliegen: ein Musikvideo. Als ich am nächsten Tag also am Treffpunkt auftauchte, eskortierte mich ein anderer Jugendlicher zum Barbershop, wo sich langsam die Kids aus der Nachbarschaft sammelten und die Utensilien für das Video zusammengetragen wurden. Neben einem Motorrad, und ein paar Flaschen Alkohol, wurde sogar ein Kampfhund angesschleppt.

Da ich eigentlich schon mit dem Gedanken gespielt hatte, nicht noch eine Nacht länger zu bleiben, hatte ich auch direkt einen Preis für das Musikvideo: Den Preis für eine Übernachtung im Hostel.  

Paar mehr Eindrücke:

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