Kolumbien die III.- Der Vorhang fällt.

Die Zeiten des entspannten Umhertreibens waren vorbei. Ich wollte bis zum Karneval in anderthalb Wochen in Barranquilla an der Atlantik-Küste sein und vorher noch zumindest Bogotá und Medellín sehen.

Aufgrund des Zeitdrucks hatte ich meinen Touri-Modus noch etwas höher gefahren. Hieß so viel wie: Busfahren, Hostel, Stadttouren, maximal fünf Tage Aufenthalt, ohne Geld zu verdienen.

 

Grafitti Touriviertel Bogotá

 

In der Hauptstadt Bogotá nahm ich also an einer Stadtführung teil, lief gleich mehreren alten Bekannten zufällig über den Weg und besuchte Museen.

Besondersfaszinierend fand ich die Geschichte des bewaffneten Konfliktes, in den Kolumbien über etwa fünf Jahrzehnte verwickelt war. Während diesem hatten verschiedene Guerilla-Gruppen für Gewalt und Vertreibungen gesorgt. Der Frieden ist seit 2016 zumindest mit dem Friedensvertrag der FARC zumindest formal heute wieder gesicherter.

 

 

 

 

Durch die zentralen Teile Bogotás lief ich zu Fuß. Für den Rest lieh ich mir ein Fahrrad aus. Natürlich hatte ich die Ausmaße der Stadt unterschätzt und konnte nur einen Bruchteil sehen von den Gebieten, die ich hatte sehen wollen. In allzu viele normale Wohngebiete kam ich letzten Endes nicht. Dafür landete ich aber unter anderem auf dem Campus einer Privat-Universität. Normalerweise hätte man sich um den Campus zu betreten natürlich offiziell anmelden oder als Mitglied ausweisen müssen. Ein junges Mädchen mit Rucksack auf dem Rücken und Kaffee in der Hand konnte da aber natürlich erstmal unbeachtet mit durch die Tore huschen…

 

 

 

Schließlich wurde dann aber doch eine Security-Frau auf dieses Mädchen aufmerksam, das sie noch nie gesehen hatte, das aber planlos umherlief und gelegentlich Fotos machte und stellte mich zur Rede. Ich konnte sie glücklicherweise davon überzeugen, dass ich weder eine Spionin, noch Terroristin oder sonst was war, sondern lediglich eine deutsche Studentin, die in Erwägung zog, ein Auslandssemester an dieser hervorragenden Universität zu absolvieren.

 

 

 

 

Ein paar weitere Eindrücke der Stadt:

 

 

 

In Medellín erreichte das Stadtführungs-Phänomen dann seinen Höhepunkt. Ich machte in den vier Tagen gleich drei. Das Besondere an der Stadt war, dass sie als ehemals eine der angeblich gefährlichsten Städte der Welt in den letzten beiden Jahrzehnten eine sichtbare Transformation durchlaufen hatte (und ja, Pablo Escobar ist nur ein Teil davon). Durch städteplanerische Maßnahmen und Förder-Projekte waren bereits maßgebliche Erfolge erzielt worden. Das Image der Stadt hatte sich gewandelt. Heute gibt es mehrere Stadttouren, die sich genau auf diese Zustände und Veränderungen fokussieren, wie beispielsweise die in der comuna 13 (Stadtbezirk Nr. 13), die vor einigen Jahren noch als eines der gefährlichsten Stadtviertel galt und heute vor allem für Graffiti-Kunst und als Touri-Magnet bekannt ist.

Rolltreppen am Hang des Viertels

 

Noch mehr beeindruckte mich allerdings eine Führung in dem etwas weniger touristisch gefluteten Bezirk Moravia, der zum Teil auf einer ehemaligen Müllhalde errichtet worden war und vor allem auf lokaler Ebene organisiert wurde. Das hieß vor allem durch einige Frauen aus dem Bezirk (sogenannte „Leaders“), die den Rückhalt der Bewohner*innen genossen und die sozialen Projekte vorantrieben. Finanzielle Unterstützung bekamen sie unter anderem durch eine Partnerschaft mit einer eigens dafür gegründeten Stiftung aus Berlin. „Wir haben das alles allein erreicht.“, betonte eine der anwesenden Leaderinnen. „Staat und Stadt krümmen nicht einen Finger für uns.“

Ehemalige Müllhalde:

Außerdem lernte ich in Medellín, was Kaffee verkaufen mit Prostitution zu tun haben kann und schmuggelte mein Zelt zwischen die Bäume des Arví Natur-Parks (bzw. Waldes an der Stadtgrenze).

Und dann Küste, Meer, Karneval.

 

Auch während meines bereits zweiten außer kölnischen Karnevals vermisste ich die Domstadt nicht. Während der Umzüge beschränkte sich der Abwechslungsreichtum der Kostüme in Barranquilla zumindest nicht nur auf die aller paar Kilometer wechselnde Farbe der Funken-Uniform. Auch die Tanzeinlagen waren ein wenig belebter, als die Darbietung einer handvoll Funkemariechen. Und welches Fest wäre schon geeigneter gewesen für die Völkerverständigung als der Karneval? In meinem Fall war es primär die bayrische Kultur, in die ich eintauchte. Ich war über die Karnevalstage in einem Gringo-Hostel untergekommen und hatte mich einer Freundesgruppe aus dem weiß-blauen Bundesland angeschlossen. Also lernte ich nebenbei auch noch mehr über den FC Bayern und Sippschafts- (oder vielleicht eher Seppschafts-) Vorteile oder wie viele kolumbianische ‚Aguila‘-Bierdosen man trinken musste, um ein Maß intus zu haben.

 

In Cartagena, zwei Autostunden von der Karnevalsstadt entfernt, wurde ich beinahe von einem venezolanischen Opa adoptiert, dem ich einen Abend lang bei seinem Schmuckverkauf Gesellschaft leistete, zog dann aber erstmal bei drei chilenischen Reisenden ein. Ihre gemietete Wohnung lag in einer Gated Community. Neben einem verschlossen Eingangstor mit Portiers verfügten unsere Straßenzüge also auch über einen integrierten Spielplatz, sowie einen Basketballplatz und vergleichsweise hübschere Häuser.

Ein paar Straßen weiter wurde ich allerdings zum ersten Mal überfallen. Auf offener Straße und mitten am Tag. Rückblickend war ich daran teils selbst schuld, weil es direkt neben einer armen Wohngegend geschah, an der ich wohl nicht hätte alleine vorbeilaufen sollen (zumal nicht mit all meinen Wertgegenständen in der Tasche und meinem -wenn auch schon halb zerstörten- Tablet in der Hand). Die einzige Waffe meines Angreifers war glücklicherweise lediglich ein Schraubendreher (weiß der Himmel welchen Überfall-Kurs der Junge besucht hatte) und ich war (rückblickend) glücklicherweise dumm genug, solange mit ihm zu verhandeln, bis Leute auf die Szene aufmerksam wurden und ihn vertrieben, bevor er auch nur einen Krümel erbeuten konnte. Die leichten Wunden auf meiner Hand, auf die er mit dem Werkzeug eingehackt hatte, als ich nicht gehorchte, waren also alles, was ich davontrug.

 

Die Sache mit dem Boot:

Ich hatte mir in den Kopf gesetzt von Kolumbien aus in die Karibik zu segeln und von dort gegebenenfalls mit einem Boot oder Schiff zurück nach Europa zu gelangen. Beziehungsweise war meine erste Idee und Anlaufstelle ursprünglich der Containerhafen gewesen, dort kam ich aber natürlich (weder in Barranquilla, noch in Cartagena) weiter als an die Eingangsschranken, an denen ich abgewiesen wurde. Die offiziellen Frachter-Agenturen in ihren Büros wiesen mich sogar noch schneller ab und auch mein Anfreunden mit einem Büromitarbeiter im Hafen, der seine Connections spielen ließ, blieb erfolglos.

Also doch der Segel-Hafen. Ich hatte zwar eigentlich keine Lust auf ewiges möglicherweise wochenlanges Leute-Belästigen und Suchen nach einem Boot, aber viele andere Möglichkeiten boten sich gerade nicht. Also verwickelte ich vor dem Eingang einen Arbeiter in ein Gespräch. Dieser bot mir schließlich an, mich mit hinein zu schleusen und drinnen angekommen deutete er auf einen älteren Mann, der an einem der Tische des Hafen-Bistros saß. „Den könntest du fragen, der legt bald ab, aber deine Chancen stehen nicht so gut. Er ist ziemlich mürrisch.“ Ich versuchte es trotzdem. Der gebürtige Italiener sagte mir direkt selbst, er nehme keine Leute mit. Früher habe er das gemacht, aber er habe keine Geduld mehr.

Ein paar Gesprächsminuten später war ich Teil der Crew.

-„Also ich fahre nächste Woche Mittwoch oder Donnerstag los, wenn du willst kannst du mitkommen. Du musst nur dein Essen selbst mitnehmen.“

-„Wow, vielen Dank, das ist super nett.“

-„Ich bin nicht nett.“

Er wollte in die Dominikanische Republik fahren. Und wie sich später herausstellte, war er sogar so ziemlich der Einzige, der in die Karibik fuhr (alle anderen fuhren weiter nach Zentralamerika).

Ich verbrachte die zwischenzeitlichen Tage in Palomino, einem kleinen Ort weiter östlich an der Küste.

Als ich pünktlich zum Ablegen wieder da war, war noch alles gut. Ich besichtigte das Boot, lernte den anderen Typen kennen, der als Gehilfe mitfahren sollte und willigte ein, Freitag früh auf dem Boot zu sein. Donnerstag bekam ich eine Nachricht, es fehle ein Ersatzteil, um das Boot startklar zu machen und wir müssten die Abfahrt erstmal verschieben.

Ich war mittlerweile in ein Hostel um die Ecke des Hafens gezogen und nutzte die Zeit erstmal, um mit ein paar Jungs aus Argentinien auf eine Insel zu fahren.

Das Ersatzteil sollte es allerdings nie aus Europa herschaffen.

Eine Woche später sprachen alle nur noch von diesem neuen Virus.

Zwei Wochen später waren etliche Grenzen geschlossen und aus der anfänglichen Ausgangssperre ab 22 Uhr wurde in wenigen Tagen eine Ausgangssperre ab 18 Uhr unter der Woche und dem kompletten Wochenende. Schließlich wurde die vorsätzlich komplette Ausgangssperre verhängt, ausgenommen Besorgungen in Supermarkt und Apotheke. Der Hafen war mittlerweile auch gänzlich geschlossen worden. Alle, die noch irgendwie konnten, kehrten in ihr Land zurück. Im Hostel blieben wir schließlich zu viert zurück. Plus ein Mitarbeiter des Hostels. Aber ich war mit dem pensionierten schweizer Pärchen, das mit dem Fahrrad die halbe Welt bereist hatte und einer jungen, ebenfalls reisesüchtigen Portugiesin in bester Gesellschaft. Das Paar sah keinen Sinn darin, zurück nach Europa zukehren, nur um die Dinge dort ebenso auszusitzen. Die Portugiesin arbeitete, wenn sie nicht reiste, halbjährig in Norwegen mit Kreuzfahrtschiffen und würde deswegen sowieso auch dort keine Arbeit haben.

 

 

Schließlich verdichteten sich die Ereignisse global allerdings so, dass zumindest ich mich schließlich doch dazu entschied, nach Deutschland zurückzukehren.

Leichter gesagt als getan. Ich verbrachte Tage damit nach Flügen zu suchen und mit dem Versuch, auch einen zu buchen. Seiten waren überlastet, Preise schnellten natürlich mit jeder Aktualisierung in die Höhe. Meine Buchungen mussten nachträglich doch noch gecancelt werden, weil meine Zahlung aus Kolumbien nicht schnell genug bestätigt werden konnte, da irgendwelche Büros in Israel geschlossen waren, was man meinen Familienmitgliedern in Deutschland nach mehreren Stunden telefonischer Warteschleife mitteilte. Flüge wurden wieder annulliert und eine deutsche Rückholaktion gab es noch nicht. Schließlich sollte die aber doch organisiert werden.

Am letzten Tag, an dem der Transport innerhalb des Landes noch möglich war, gelangte ich zurück nach Bogotá, um von dort auf diese Rückholaktion zu warten. Die Organisation und Kommunikation zu dieser Aktion gestaltete sich allerdings als recht schleppend. Schließlich ergab es sich aber, dass ich doch noch mit dem letzten regulären Flug nach Europa schon bis Paris kam.

Bevor wir abhoben standen die Mitarbeiter*innen von airfrance versammelt auf dem Rollfeld und winkten ihrer vorerst letzten Maschine zum Abschied.

Ein paar Stunden später war ich schließlich zurück auf der anderen Seite des Ozeans. Wer nicht da war, war mein Rucksack. Und als mir dieser ein paar Tage später nach Hause geschickt wurde, waren auf ominöse Weise die 15 Tafeln Schokolade und die anderen kolumbianischen Süßigkeiten bereits von Bord gegangen.

Aber damit konnte ich leben. Nachdem ich nach Amsterdam umgestiegen war, fuhr der Zug schließlich über den Rhein und auf den Dom zu. Ich war zu Hause. Unbeschadet zurück -und alles war wie immer (mit dem kleinen Unterschied natürlich, dass das Land von einer globalen Pandemie in Atem gehalten wurde und die Stadt menschenleer war). Ich war nicht traurig oder gelangweilt davon, nun wieder jeden Tag im gleichen Bett aufzuwachen. -Noch nicht. Um es so lyrisch auszudrücken, wie Leo aus Buenos Aires:

Dieses Kapitel war also zu Ende gegangen. Aber das Buch hatte gerade erst begonnen… 😉

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