Peru Regenwald- Auf einen Tee mit Pacha Mama

(Oktober 2019-Januar 2020)

Sobald ich den Entschluss gefasst hatte, den amazonischen Regenwald zu besuchen, hatte sich mir das Bild in den Kopf gesetzt, durch das Dickicht kriechend diesen artenreichen Lebensraum zu erkunden – und dafür auch noch Geld zu bekommen.

Relativ schnell hatte ich natürlich einsehen müssen, dass ich über keinerlei Fähigkeiten verfügte, die mich dafür auch nur in irgendeiner Weise qualifizieren würden.

-Was soll ich sagen, ein paar Monate später war mein Wunsch Wirklichkeit geworden.

Aber erst einmal in den Regenwald gelangen.

Ich hatte eigentlich geglaubt, ich würde von Lima aus die 750 km Landstraße mit dem Bus fahren müssen, um in das etwas abseits gelegene Pucallpa zu kommen. Auf meinem Weg zum Busbahnhof frühstückte ich an einem kleinen Essensstand irgendwo auf einer der tausend Straßen der Stadt. Und wie der Zufall es wollte, war der einzige andere Frühstückende ein LKW-Fahrer, der sich gerade aufmachen wollte – nach Pucallpa.

In der Stadt Pucallpa wurde ich aufgenommen von einer Familie, die mir über einen Bekannten in Cusco vermittelt worden war. Wir tanzten auf einer traditionellen Feier zu Gunsten eines Heiligen, ich verkaufte Gebäck, das ich zu Hause backte und freundete mich mit ein paar reisenden Musikern an. Gegen meinen Willen stand ich folglich auf einmal etwas verloren vor Restaurants, bewaffnet lediglich mit einem Tamburin und mit der Aufforderung zu tanzen. Mit den Jungs fuhr ich für ein paar Tage in einen Ort namens Tingo Maria. Dort war wegen eines Jubiläums gerade der Teufel los und auch viele Backpacker wurden dadurch angezogen, die dort im Zentrum ihren Schmuck verkaufen, Straßenmusik machen oder an den Ampeln ihre Kunststücke vorführen wollten. Das Haus, in dem wir und die meisten anderen wohnten, war voll von uns. Es war ein außerhalb gelegenes Haus an einem Fluss im Wald, in dem die Reisenden unglaublich günstig ihr Zelt aufstellen konnten.

Tagsüber wurde Jonglieren geübt, getrommelt oder neuer Schmuck geknüpft. Wir pflückten Avocados, sprangen von Felsen in den Fluss vor der Tür oder liefen eine halbe Stunde zu den schönsten Wasserfällen, die ich seit langem gesehen hatte.

Am frühen Abend dann immer mit dem Mototaxi ins Städtchen um zu arbeiten und nach ein paar Tagen schließlich wieder zurück nach Pucallpa.

Inzwischen hatte es ein Freund, den ich in Huaraz kennengelernt hatte bis nach Pucallpa geschafft. Seine Oma war wirklich cool drauf und wohnte in einem Dorf außerhalb der Stadt. Sie teilte nicht nur ihr Bett sondern auch ihre rosafarbenen Nachthemden mit mir und unterrichtete uns in den Früchten des Waldes. Ich verbrachte noch ein Wochenende in dem Haus mit Zuckerrohr, Ananas und Gänsen im Garten und dem Dorf mit den Straßen, die bei dem starken Regen eher Flüssen glichen. (Der Regen tropfte natürlich durch das Blechdach genau auf meine Hälfte des Bettes).

Mein nächstes Ziel sollte Iquitos sein. Die Stadt im Herzen des Amazonas Gebietes war lediglich per Boot oder Flugzeug zu erreichen. Die einzige Straßenanbindung, die es gab, führte 100 km entlang einiger Dörfer bis zu einer Kleinstadt. Also hieß das fünf Tage Boot.

Die langsamste Variante (es gab neben dem Flugzeug auch von den Booten eine schnellere Option) nutzte hauptsächlich die lokale Bevölkerung. Geschlafen wurde in Hängematten, die auf dem ersten der beiden Stockwerke den Platz füllten. -Gerne auch mit der ganzen Familie in einer gemeinsam (Hühner und Hunde im Schiffsbauch).

Der Tagesrhythmus wurde bestimmt von den drei täglichen Portionen Reis mit Hühnchen, ansonsten floss die Zeit so undefiniert dahin, wie das unendliche Meer an Bäumen an den Ufern des Flusses.

Der Amazonas

Ich hatte nicht damit gerechnet, heutzutage mitten unterwegs durch das Nichts immer wieder noch derart viele bewohnte Häuser und Dörfer zu sehen. Gelegentlich fuhr ein Kanu Leute an Land oder brachte neue Passagier*innen an Bord.

In Iquitos stand ich dann vor der Wahl. Ich hatte meinen Plan nicht vergessen und würde entweder viel Geld für eine Tour durch den Dschungel ausgeben müssen oder hochstapeln und mich dafür bezahlen lassen.

Noch an meinem ersten Abend in Iquitos klapperte ich also die Tourismus-Büros in meiner Straße ab. Ich steckte kurzerhand mein Köpfchen hinein in eine der zahlreichen Agenturen und fragte, ob sie nicht jemanden mit ein bisschen Sprachkenntnis gebrauchen könnten. Fündig wurde ich schon im dritten Büro, das ich ansteuerte. Nachdem wir die Bedingungen festgelegt hatten, konnte ich am nächsten Tag schon anfangen (natürlich ohne irgendwelchen Papierkram oder mich in irgendeiner Form ausweisen zu müssen). Meine Aufgabe sollte es sein, Touris im Büro oder auf der Straße die Touren anzudrehen und gegebenenfalls als Übersetzerin die Tour zu begleiten. Außer mir gab es noch einen einzigen weiteren Mitarbeiter: meinen Chef. Das Büro war ein winziges Rechteck mit einer großen Landkarte der Region und ein, zwei ausgefalteten Prospekten an den spärlichen Wänden, die versuchten irgendwie das Gefühl von Leere zu überdecken und jenes von Tourismus und Professionalität zu vermitteln. Am Ende des Rechtecks ein Schreibtisch. Zwei Stühle bereit für die Betrachter*innen der Landkarte. Das einzige elektrisch betriebene Gerät: ein Ventilator zwischen Schreibtisch und Papierkorb.

Am zweiten Tag konnte ich dann schon eine Tour begleiten. Auch wenn dieser mysteriöse „Regenwald“ schon auf den zweiten Blick doch einiges mit dem mitteleuropäischen Mischwald gemeinsam hatte, wurde ich auf meinem ersten ‚botanischen Spaziergang‘ mit Guide erstmal wieder zum Kind, das immer zurück blieb, weil es alles anschauen wollte. So viele verschlungene Pflanzen, „laufende“ Bäume mit mehren Füßen und Früchte an Pflanzen, die ich noch nie gesehen hatte.

 

Das weitere Programm der Tour: Auf der Strecke, die man von Iquitos bis zur Unterkunft im Wald zurücklegte, konnte man eigentlich immer Delfine finden. Graue und anders geformte rosafarbene (auch wenn sie sich nie ausreichend Fotomotiv-freundlich aus dem Wasser bequemten). Riesenbaum, mit etwas Glück ein Sekündchen Blick auf ein Äffchen, Faultiere schon großenteils von der Dorfbevölkerung von den Bäumen gepflückt, inzwischen nicht mehr als Nahrung, vielmehr als Haustiere und um sie selbst den Touris zu präsentieren, außerdem eine Nachtwanderung und auf Wunsch Piranhas fischen. Aber die Tierchen, die wir am häufigsten zu Gesicht (oder Armen, Beinen und Füßen) bekamen, waren natürlich Moskitos.


Ein anderes Mal besuchten wir eine Auffangstation, in der von Anakondas bis Faultier alles von jedem mal auf den Arm genommen werden konnte. Außerdem zwei native Stämme, die jeweils eine touristische Präsentation abgaben. Die etwa fünfzehn Minuten Zusammenleben wurden gefüllt mit einer Begrüßung auf Stammessprache, einer kleinen historischen Ausführung auf Spanisch, zwei Liedern mit Tänzen zum Ansehen, sowie einem Tanz zum mitmachen. Sporadische Gesichtsbemalung und Kopfschmuck für die Dauer des Spektakels inklusive. Zwischen den Selfies und Gruppenfotos mit den traditionell gekleideten Ureinwohner*innen immer wieder die nachdrückliche Ermunterung, sich den handgefertigten Schmuck anzusehen. Die jeweiligen Häuser erstaunlich leer, um wirklich bewohnt zu sein, verborgen, hinter den Bäumen zwischen denen die Kinder auf Spanisch spielten, Haufen abgelegter westlicher Kleidung.

Ein Mal begleitete ich ein französisches Pärchen und eine kanadische Familie, um den Guide mit seinem manchmal lückenhaften etwas schwer verständlichen peruanischen Französisch und die Kanadier*innen mit ihrem ihrerseits unglaublich besonderen Französisch bei der Kommunikation zu unterstützen. Es kann durchaus spannend sein, irgendwo im Regenwald zu stehen und einer Gruppe von Regenponchos auf einer Fremdsprache plötzlich die medizinische Besonderheit irgendeines tropischen Gewächs oder das Paarungsverhalten einer nachtaktiven Spinnenart erklären zu müssen. Glücklicherweise kam es nie hart auf hart.

Natürlich war ich weit davon entfernt, eine professionelle Übersetzerin zu sein- nicht nur, weil mir zum Großteil das Tour-relevante Vokabular fehlte. Aber solange sich eine Agentur darauf einließ, war ich die letzte, die sich davon hindern ließ.

Allerdings war die Bezahlung pro Tag recht gering. Außerdem war ich recht schnell die langen Tage im Büro leid, bei denen ich wirklich absolut nichts zu tun hatte. Obendrauf kam es des Öfteren gar nicht zum Nichtstun im Büro, weil mein Chef der unverlässlichste Mensch auf diesem Planeten war. Als er dann auch noch beschlossen hatte, mit mir ausgehen zu wollen, legte ich meine Karriere erst einmal auf Eis. Ich war ja damit klar gekommen, von den Guides angebaggert zu werden oder irgendwelchen Fremden, die plötzlich im Büro auftauchten (von sämtlichen Taxifahrern, Männern auf der Straße, in Läden oder sonst wo erstmal abgesehen), aber dann plötzlich auch noch von meinem Chef ständig anhören zu müssen, dass Liebe weder Alter noch Grenzen kenne, war mir dann doch zu viel.

Aber auch für dieses Problem gab es eine Lösung. Wann immer ein Typ auf einer Party oder auf der Straße versuchte, mich zu einem Date zu überreden, lehnte ich ab, entgegnete, dass ich gerade sehr beschäftigt sei und erwähnte, dass ich Sprachunterricht gab. Plötzlich hatte ich einen Haufen motivierter Schüler. Aber auch das Unterrichten wurde ich irgendwann leid.

Inzwischen war allerdings ein argentinischer Straßenmusiker in mein Hostel gekommen, der eine Geige dabei hatte. Das einzige Instrument mit dem ich zumindest theoretisch etwas anfangen konnte. Wir klapperten gemeinsam die Restaurants ab, wenn ich ihn und seine Gitarre begleitete und sobald ich mein anfängliches (überraschend großes) Lampenfieber endlich überwunden hatte zog ich auch alleine los und merkte, dass ich so deutlich schneller und leichter Geld verdienen konnte, als mit allem, was ich vorher probiert hatte. Also kaufte ich mir (für umgerechnet 100€) selbst eine.

Objektiv betrachtet ging es mir gut in Iquitos. Ich wohnte zentralstens und günstig, die Gemeinschaft aus Reisenden MusikerInnen und KünstlerInnen war gut, es gab einen sympathischen kleinen Club, den wir jedes Wochenende bevölkerten und in dem ich zunehmend Salsa, Cumbia& Co für mich entdeckte, ich konnte leicht Geld verdienen und ich sammelte verschiedene Arbeitserfahrung. Trotzdem wollte ich bereits nach etwa einem Monat nur noch raus aus der Stadt und weiter.

Allerdings wollte ich noch andere Orte des lokalen Regenwaldes kennenlernen, außerdem wollte ich Ayuhuasca nehmen. Ayuhuasca ist ein Pflanzensud aus einer Liane, der psychedelisch wirkt und von einigen indigenen Völkern Südamerikas in Zeremonien verwendet wurde/wird, um in dem erweiterten Bewusstseinszustand etwa Visionen zu erlangen oder sich mit ihren Ahnen und Pflanzengeistern zu verbinden. Heutzutage gibt es einen regen Strom aus hauptsächlich westlichen Touris, die hoffen, Antwort auf ihre Fragen bzw. einen Schlüssel zu ihrem Unterbewusstsein zu finden oder Traumata zu aufzuarbeiten.

Das Geschäft mit der pflanzlichen Medizin boomte. Aufgrund der vielen Touris, die es nach Iquitos verschlug, versuchte jede*r Dritte dir (neben Dschungel-Touren auch noch) Zeremonien mit Pflanzenmedizin anzudrehen. Und ich hatte dafür noch keinen guten und nicht allzu teuren Ort gefunden.

Schließlich fuhr ich zusammen mit einem Kumpel zu einer Regenbogen-Community im Wald. Die Regenbogen-Community besteht weltweit aus einigen Hippies, die für die Dauer eines Mondzyklus einmonatige Treffen veranstalten und dort in Liebe und Frieden zusammenleben. Dieser Ort war allerdings eine permanente Wohngemeinschaft, in der die festen Bewohner*innen in eigenen Häusern lebten, die BesucherInnen in einem gemeinsam. Der Ort war wunderschön. Mitten im Grün, weit genug entfernt von der sogenannten Zivilisation, um die Geräusche der Straße von denen des Waldes oder einfach der Stille übertönen zu lassen. Gelegen an einem kleinen Fluss, in dem man sich wann immer möglich abkühlte.

Der Respekt für Pacha Mama (Mutter Erde) stand natürlich im Vordergrund. Zurück zu den Wurzeln -und ihrer schlammigen Erde (überraschender Weise legte ich mich nur ein einziges Mal auf die Fresse). Schlamm statt Seife, Asche statt Spülmittel, Kerzen nach Sonnenuntergang das höchste Gut.

Was mir etwas schwer fiel: das Essen. Weil in der Gemeinschaft auch pflanzliche Medizin angeboten wurde, war die vorausgehende Diät der Einfachheit halber als die permanente Ernährungsweise festgelegt worden. Das bedeutete in etwa: Kochen ohne Geschmack. Ohne Salz, ohne Zwiebel ohne Knoblauch. Und eben kochen, gebraten werden durfte wegen des Öls auch nichts. Alles vegetarisch (letztenendes auch vegan) natürlich.

Fluss

Ansonsten wurden tagsüber aus Pflanzenfasern Wandverkleidungen gewebt oder mithilfe der Bevölkerung umliegender Dörfer ein neues Feld angelegt. Diese Zusammenarbeit beruhte auf einem einfachen unbezahlten Solidaritätsprinzip innerhalb der Dorfbevölkerung. Ich komme und helfe dir, wenn du mich rufst, du und hilfst mir, wenn wir Unterstützung brauchen. Die sonstigen Bedingungen waren ein Mittagessen bei halbtägiger Arbeit, zwei Mahlzeiten, wenn auch noch nachmittags gearbeitet wurde. Außerdem mussten die Arbeitenden durchgehend mit Masato bei Kräften gehalten werden. Für das fermentierte Getränk auf Maniok-Basis wurde Maniok gekocht, gestampft und ein Teil anschließend (ausschließlich von Frauen) durchgekaut, wieder mit dem Rest vermischt und seinem Fermentierungsprozess überlassen. Ich hatte die Ehre, nicht nur meine Hilfe und Spucke beizusteuern, sondern auch anschließend das Mädchen zu sein, das die Arbeitenden permanent mit dem Getränk versorgte.

In den abendlichen Redekreisen wurden Dinge besprochen und dabei in indigener Tradition Pulver aus Cocablättern gelutscht (Mambe) oder (über den ganzen Tag über) eine Art Schnupf-Tabak (Rapé) konsumiert. Für die Verbindung zu den indigenen Völkern kamen ab und an Stammesälteste zu Besuch, damit die Gemeinschaft von ihnen lernen konnte. Am häufigsten schaffte es ein Vertreter eines kolumbianischen Stammes zu der Community im peruanischen Regenwald, um die Weisheit der Ahnen zu teilen mit einem Publikum, welches seine Ahnen mehrheitlich in Europa hatte. Der Gründer selbst war Franzose und seine Frau, die aus dem nächsten Dorf stammte und ihre zwei jungen Töchter von den wohnhaften Bewohner*innen momentan damit die einzigen Peruanerinnen. Die Gemeinschaft rechtfertigte sich damit, dass die eigenen Kinder der Stämme sich oft schon nicht mehr für die indigenen Traditionen interessierten und die Alten teilweise froh waren, wenn überhaupt jemand an ihrem Wissen teilhaben wollte. Trotz allem gab es viele Wissende, die ihr Wissen nicht einfach an irgendwen weitergaben. Manchmal nicht einmal an die eigenen Kinder, wenn ihnen diese ihnen etwa zu verwestlicht erschienen.

Die Verbindung zu der spirituellen Kraft des Waldes war neu für mich. Die Pflanzen, Medizin, Rituale und Geschichten bei Feuerfackeln und Mondschein.

Ich machte Kambo. Ein natürlicher medizinischer Reinigungsprozess, bei dem einem ein bestimmtes Krötengift auf die Haut appliziert wurde. Kontinuierlich trank man Wasser, das zusammen mit dem Gift dann durch den Brechreiz den Körper ausspülte.

Brandpunkte für das Auftragen des Giftes

Ich ging immer mal wieder in die Stadt, aber machte schließlich meine Ayuhuasca-Erfahrung in der Community und auch jene von meinem ersten Weihnachten im Wald. (Zu Weihnachten wurde dann kulinarisch mal auf den Putz gehauen. Bzw. Auf die Gewürzkiste und die Einkaufsliste für die Stadt.) Es wurde ein glückliches Weihnachten.

Ich verließ die Stadt wie ich gekommen war. In meiner Hängematte auf der Wasserstraße ein letztes Mal durch den Regenwald.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert