Teneriffa, oh Teneriffa… Etwa drei Wochen waren wir jetzt auf der Berg-Insel zu Hause. Hingekommen mit der Fähre, die wir von Spanien aus nahmen. 44 Stunden. Genug Zeit, um sich absichtlich mit dem Barkeeper anzufreunden und unbeabsichtigt so mitleiderregend zu wirken, dass man die überteuerte Mahlzeit an Board wort-& kostenlos hingestellt bekam. Außerdem genug Zeit, um sich mit zwei sympathischen dreißig-jährigen Kettenkiffern anzufreunden, Lebensgeschichten auszutauschen und sich unzertrennlich den ganzen Tag überall hin zu folgen. Platz gab es auf diesem riesigen Schiff genug. Auf eine Crew von 46 Personen kamen 22 Passagiere. Ökologisch kompletter Bullshit. Die Einzigen, die sich diese Überfahrt ansonsten in Zeiten von Billigfliegern antun, sind eben nur Leute, die ihre Autos mitnehmen wollen.
Auf der Insel zogen Pia und ich dann erst einmal in ein Haus, das Pia auf Couchsurfing gefunden hatte zwischen der Hauptstadt Santa Cruz und La Laguna. Ein Wohnprojekt, das im Profil stehen hatte, dass psychedelische Drogen einen wichtigen Teil seines Alltags ausmachten. Als wir ankamen, bekamen wir erst einmal zur Begrüßung ein paar Joints in den Mund gesteckt und sämtliche Gegenstände und Essensreste wurden weggeschoben, um uns Platz zu machen. Auch ansonsten war die WG, die immer aus etwa 8 bis 15 Menschen zwischen 16 und 23 Jahren bestand, direkt sehr gastfreundlich und räumte einen der insgesamt dreieinhalb Räume komplett für uns. Geteilt wurden nicht nur die Schlafflächen wie gerade Platz war, sondern auch Kleidung, die gerade irgendwo lag und sauber war, das Essen, das zu einem großen Teil vom Lidl offiziell vereinbart vom Container gerettet wurde, die Joints, die wie kleine verteilte Olympische Feuer immer irgendwo brannten und die Miete, sowie jeder gerade konnte. Da eigentlich niemand in dem Haus ein festes Einkommen bzw. Geld hatte und nicht genügend Geld durch dealen zusammen kam, wurde anfangs, als wir da waren, auch noch ein Zimmer vermietet. An eine Mutter mit Sohn im Grundschulalter. – Skurril genug in der drogenfreundlichen Behausung, in der an manchen Tagen alle Wege durch Minenfelder aus Dreck zu führen schienen (inklusive Hundekacke, wenn man Pech hatte). Während wir da waren, zog die Mieterin dann aber wieder aus und machte Platz für einen liebevollen Gemeinschaftsraum. Dort oder auch sonst wurde viel gejammt. Die Haustiere (neben einem Hund, auch noch mindestens eine Katze (ich hatte da bis zum Ende nie so richtig den Durchblick)) waren auch etwas besonders, was vermutlich nicht zuletzt dem Passivkonsum, geschuldet war, dem sie Tag und Nacht ausgesetzt waren.
Wenn mal wieder kein einziges Blatt Klopapier im Haus zu finden war, befand sich praktischer Weise der Lidl direkt um die Ecke- mit eigenen Kundentoiletten. Direkt gegenüber des Hauses befand sich ein Hügel, von dem aus man einen unglaublichen Ausblick auf die umliegenden Städte, die Berge und das Meer hatte.
Wir konnten die Leute aus der WG nie ganz in eine Schublade packen. Irgendwie waren sie gechillt, kifften und trugen Hippie-Hosen – waren aber keine Hippies. Sie waren irgendwie minimalistisch und containerten – waren aber keine Ökos. Sie standen abseits des Mainstreams- aber waren keine Freaks…
Durch Raves hatten sie zusammen gefunden und dafür fanden sich auch jede Woche alle wieder zusammen. So kamen wir z.B. zu einem Rave an einer Küste zwischen Strand und einigen dekorierten Höhlen. An dieser coolen Location wehten einem allerdings erstaunlich viele deutsche Wortfetzen und Dreadlocks (tatsächlich oft gemeinsam ausgehend von den selben Köpfen) entgegen. So sehr ich mich auch darüber lustig machte, musste ich mir wohl auch an die eigene Nase (bzw. an den Kopf) fassen. Und da die meisten der deutschen Hippies vorübergehend nach La Caleta, einem Hippie-Strand im Süden der Insel in Höhlen oder Zelte gezogen waren, mussten Pia und ich uns nach anderthalb Wochen wohl oder Übel auch auf den Weg dorthin machen.
Während des Umsteigens machten wir einen kleinen Zwischenstopp in Costa Adeje, einer kleinen Parallelwelt für Touris. Eigentlich wollten wir nur kurz Halt in einem Supermarkt machen. Es entpuppte sich allerdings als ein Kurztrip zurück nach Deutschland komprimiert auf etwa 90 Quadratmetern Ladenfläche. Lokale Produkte konkurrierten mit Christstollen, Dominosteinen, „dem Dinkelvollkornbäcker“ und allem, was sonst noch „Gut& Günstig“ war. Auch die Kundschaft erkannte uns als Verbündete und so halfen wir erfolgreich einer älteren deutschen Dame auf ihrer verzweifelten Suche nach den Salzstangen, zu der sie lediglich mit Spanisch-Wörterbuch und ihrer restlichen Sehstärke ausgerüstet war.
Irgendwie blieben wir dann aber schließlich doch in diesem Touri-Paradies hängen. Wir freundeten uns mit einer coolen Straßenmusikerin, ihrem Freund, einem Straßenmagier und einem Hippie-Gitarristen an. Letzterer sang in Endlosschleife von seinem immateriellen Reichtum („I have sooo much, Soo much…“) und wie wundervoll es war, dass immer neue Bäume wuchsen (sehr unterhaltsam). Mit diesen sympathischen Gestalten verbrachten wir dann den ganzen Abend und spielten hin und wieder Reih um für jeden mal begeistertes Publikum. Nachts beschlossen Pia und ich dann, Zelt und Hängematte einfach an einem Minihang zwischen Touri-Strand und der einen Meter entfernten Flaniermeile aufzuschlagen. Erstaunlicher Weise wurden wir (außer kurz vor dem Einschlafen, von einem aggressiven Rasensprenger) von niemandem daran gehindert.
Irgendwann schafften wir es dann zum Hippie-Strand und blieben zwei Nächte dort. Er bestand aus zwei Felsen-Buchten und die Höhlen in den Felsen waren meistens ziemlich gemütlich und umfassend eingerichtet. Die Mehrheit der Leute schlug aber einfach für ein paar Tage ihr Zelt in einiger Entfernung zu den anderen auf. Wir verbrachten Zeit mit Hippies, sahen uns die Höhlen an, rauchten Pfeife mit einem Firmenboss, der verschiedene Unternehmen besaß und brachen uns nachts fast Füße und Hals, als wir versuchten über die Felsen wieder zurück zum Strand zu kommen.
Aber eigentlich waren wir ja mit einer Mission nach Teneriffa gekommen. Ein Segelboot zu finden.
In Lissabon hatten wir unsere Gesuch- Zettel einfach irgendwo hingehangen, weil sowieso keine anderen da gewesen waren.
Die Suche hier, im Hafen von Santa Cruz, gestaltete sich als etwas schwieriger. Als wir in das zentrale Hafenbüro traten, flatterten uns etwa zwanzig andere Werbezettel entgegen. Draußen vor dem Steg trafen wir dann auch direkt auf ein Pärchen, das auf der Suche war und noch nicht einmal Zettel aufgehangen hatte. Weitere „Konkurrenz“ dieser Art trafen wir am nächsten Tag. Und schon als wir nur etwa drei Mal am Hafen gewesen waren, zeichnete sich schnell ab, dass gerade niemand da war, der nach Kap Verde oder über den Atlantik fuhr und noch nicht genügend Crew hatte. Also beschlossen wir zu den Häfen im Süden umzusiedeln und verabschiedeten uns schweren Herzens von unserer neuen WG.

Zuerst fuhren wir nach Los Christianos, um den dortigen Hafen unsicher zumachen. Der Ort entpuppte sich als weiterer Magnet für Touris, deren durchschnittliche Haarfarbe ziemlich weiß war. Um unser Reisebudget aufzufrischen hatten uns im Vorhinein überlegt, womit wir aus derartigen Touri-Goldgruben Profit schlagen könnten. Das Problem: wir schienen über keine nennenswerten Talente zu verfügen, Prostitution war keine Option und wir wollten kein überlebensgroßes Tier-Plüschkostüm in unser Reisegepäck aufnehmen. Alternative Idee war, Pias Hängematte quer über die Fußgängerpassage zu spannen, Gelddose davor, sich hinein zulegen und einem Schild die Aufgabe zu überlassen, zu erklären, dass es sich hierbei um eine Kunstinstallation zum Thema Entschleunigung im Alltag handele. Da wir davon allerdings auch nicht ganz überzeugt waren, hatte ich unserer WG eine Polaroid-Kamera abgekauft und in ein paar Filme investiert. Auf einen Auslöser zu drücken sollten wir ja gerade noch in der Lage sein. Leider blieb der Reichtum allerdings erstmal aus, da niemand ein Foto machen wollte.
Die erste Nacht schliefen wir am Strand direkt vor dem Hafen (es war sogar offiziell erlaubt, solange man kein Zelt aufschlug und sie ließen einen sogar auf den Stühlen, die tags vermietet wurden, liegen). Für die zweite fanden wir aber praktischer Weise sogar einen Couchsurfer, der auch nur fünf Minuten vom Hafen entfernt wurde. Das Geile daran in einer Wohnung unterzukommen, ist einfach, dass man sich so fühlt, als würde man an dem Ort wohnen. War unser jetziger Gastgeber etwa tagsüber aus dem Haus, fuhr man mit seinem Longboard schnell mal die Straße runter einkaufen, kochte, ging runter zum Meer und konnte anschließend in der Wohnung duschen, als wäre das Alltag.
Am ersten Tag hingen wir unsere Zettel am Hafen auf. Allerdings trafen wir nur Leute, die uns sagten, dass wir wahrscheinlich kein Glück haben würden. Am nächsten Tag ging ich noch einmal nach den Zetteln schauen. Sie waren noch an Ort und Stelle, aber auch die Fischer dort sagten, wir sollten lieber den Hafen wechseln. Ich war mittlerweile sowieso immer mehr davon überzeugt davon, dass wir auf Teneriffa wohl niemanden mehr finden würden. Vielleicht würden wir doch nach Gran Canaria fahren müssen, wo angeblich mehr Schiffe Halt machten (allerdings auch mehr Konkurenz lauern sollte). Ob wir es aber überhaupt in dieser Saison schaffen würden, war allerdings eine andere Frage. Als ich nach meinem sowieso nur zehn-Minuten-Aufenthalt am Hafen also gerade zurück gehen wollte, kam ein kleines Motorboot an, aus dem vier Leute stiegen. Ich sprach sie einfach interessehalber mal an und fragte, ob sie mit dem Boot Ausflüge machten. Es stellte sich heraus, dass sie auf einem Segelboot wohnten, das in der einiges entfernt liegenden Bucht ankerte. Tatsächlich war ich eine halbe Stunde vorher dort gewesen, hatte aber vom Ufer aus keines der etwa vier vereinzelten Schiffe erreichen können. Sie waren auf dem Weg nach Brasilien und der Kapitän meinte, sie hätten bis Kap Verde eventuell noch Platz. Da sie gerade auf dem Weg in ein Café waren, luden sie mich ein mitzukommen, später stieß Pia noch dazu. Obwohl ich mich meinerseits ziemlich gut mit der Crew verstand, war ich eigentlich sicher, dass sie uns nicht mitnehmen würden. Sie wurden ja auch nicht zum ersten Mal gefragt. Doch dann wurden wir tatsächlich zum Abendessen auf das Boot eingeladen. Es war ein lustiger Abend. Unser Couchsurfing-Mensch legte uns am selben Abend per WhatsApp für den nächsten Morgen nahe, seine Wohnung zu verlassen und setzte uns somit praktisch wieder auf die Straße. Nach dem Essen bot uns das Boot allerdings an, mitzufahren- und am nächsten Tag waren wir auf der See.
Fun-Fakt: Ich habe es tatsächlich geschafft, das Ersatzhandy, das ich mir nach dem Handyverlust in Lissabon gekauft habe (nach einiger Verzögerung, weil Aktivierungsdaten verloren) zu aktivieren und am wirklich nächsten Tag direkt wieder zu verlieren. Irgendwie will Mutter Erde partout nicht, dass ich ein Handy habe. Also akzeptiere ich dieses Schicksal erstmal und bin nur per Facebook (Frida NSonne) oder Mail (Seifenblase@p-byte.de) erreichbar.