Kolumbien die II.- Cali Calling

Ich war wieder unterwegs. Diesmal nach Cali. Im LKW (Das war nichts Neues). Die Straße auf der wir zunächst unterwegs waren, war die holprigste, auf der ich seit Langem gefahren war und das Fahren darauf erinnerte an ein unterschwelliges nicht abreißen wollendes Erdbeben. Doch auch das war an sich nichts Außergewöhnliches. Als es Nacht wurde, erweiterte sich die Reisegruppe allerdings um fünf weitere Reisende: Zwei junge Paare aus Venezuela und einen kolumbianischen Freund ihrerseits, nicht viel älter als ich selbst und die Paare seit einem Jahr schon vor der Krise in Venezuela geflohen. Nun waren sie auf dem Weg zurück zur Grenze für einen Besuch.

Ich überließ der jungen Mutter mit Baby den Sitz in der Fahrerkabine und hockte mich zu dem anderen Mädchen und den drei Jungen (tatsächlich zum ersten Mal) auf den Anhänger. Und während wir über die nächtliche Landstraße rauschten, die anderen die perfekte Musik laufen ließen und dazu freestyle rappten, leuchteten alle Sterne über uns gleichzeitig um die Wette.

„Bist du schon oft von den Hinchas überfallen worden?“, fragte mich der Junge mit dem Hipster-Rucksack und den kleinen Tattoos im Gesicht.

War ich offensichtlich nicht. Da ich generell noch nie überfallen worden war, konnte ich auch mit keinen Hinchas dienen. Aber wenn ich gewusst hätte, von wem die Rede war, hätte ich vielleicht auch gewusst warum.

-„Hinchas. In Banden organisierte Fußball-Fans, die vor allem hier in der Gegend LKWs überfallen.“, klärte er mich auf. „Sie schwingen sich auch bewaffnet hinten auf die offene Ladefläche.“ Meinen Mitreisenden selbst war das schon mehr als ein Mal passiert. „Es ist gefährlich hier draußen. -Die einzige Lösung ist, selbst gefährlicher zu sein.“, sagte er dann und grinste mich schief an.

Ich hätte wissen müssen, dass nicht alles nur aus romantischen Sternhimmel-Fahrten bestehen konnte. -Kolumbien begann schon einmal vielversprechend.

Zwischen Schlafsack, Decken und den anderen eingenistet und als ich mich davon überzeugt hatte, dass ich schon nicht während der Fahrt vom Anhänger fallen würde, schlief ich dann aber tatsächlich ein.

Als ich aufwachte, hatte der Junge neben mir auch im Schlaf noch ein Messer in der Hand.

Kurz bevor wir die Stadt erreichten, ließen wir die anderen raus und ich zog wieder zu dem Fahrer nach vorne. Als ich ihn auf die Hinchas ansprach, sagte er nur, er sei auch schon ein paar Mal überfallen worden. „Du musst einfach widerstandslos alles machen, was sie sagen. Das ist kein Spiel.“

Es war mittlerweile halb zwei Uhr nachts und die Chancen, noch ein billiges Hostel zu finden und darin unterzukommen, lagen so ziemlich bei Null. Also fragte ich den Fahrer, ob er mich irgendwo auf diesen Wiesen oder Feldern raus lassen könne, die seit einer Ewigkeit an uns vorbeizogen. Ich sagte, ich würde einfach irgendwo ein Stück weiter mein Zelt aufstellen und am nächsten Tag in die Stadt rein fahren. „Bist du verrückt?!“, war seine Reaktion. „Hier vor der Stadt schmeißen sie die Leichen hin, wenn sie wen umgebracht haben. Du weißt nicht, wer sich hier rumtreibt. Aber bitte, wenn du willst, lass ich dich auch hier raus.“ Das war nicht nötig. Ich gab auf und bat ihn schließlich in der Stadt angekommen, mich an einer Tankstelle abzusetzen.

Während ich noch vor der Tankstelle stand und überlegte, was ich machen würde, wenn sie irgendwann auch schließen würde, fiel mein Blick auf zwei beleuchtete Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Eins stellte sich zu meinem Glück als 24 Stunden-Schnellrestaurant heraus und einer der Mitarbeiter*innen ließ mich tatsächlich nicht nur als Nicht-Kundin drinnen sitzen, um auf den Morgen zu warten, sondern stellte mir nach einer Weile auch noch wortlos eine Suppe hin.

Zwei, drei Stunden später, als die nächtlichen Kund*innen gegangen und die Türen zum Putzen geschlossen waren, saß ich mit den zwei Diensthabenden am Tisch und wir tauschten Kartoffeln schälend Lebensgeschichten aus.

Sowohl er als auch sie waren vor ein, zwei Jahren aus Venezuela gekommen und waren nun zwei weitere der etwa anderthalb Millionen Landsleute, die zurzeit in Kolumbien Zuflucht suchten. Von dem Geld, was sie verdiente, schickte Maria so viel sie konnte nach Hause zu ihrem Sohn. Was sie am meisten vermisste? „Alles, meine Familie, mein Haus, meinen Fernseher, mein Bett…“, sagte sie und lachte. Sie hatten nicht weggewollt. Beide nicht. Wie oft ich diesen Satz in der letzten Zeit schon gehört hatte. Aber die Situation in Venezuela sei immer noch unlebbar. Hier hatten sie schließlich Arbeit gefunden. Die meisten ihrer Kolleg*innen waren auch aus Venezuela. „Die Kolumbianer im Team haben schon einiges vom venezolanischen Slang angenommen.“, sagte David schelmisch und schaute von seinen Abrechnungen hoch.

Als alle Kartoffeln nackt, sowie alle Flächen sauber waren und die Sonne aufging, hatte David bereits Frühstück geholt und ich brach gestärkt auf, um ins Zentrum zu laufen. „Komm uns gerne noch mal besuchen. Du weißt ja jetzt, wo du uns findest.“, sagte er zum Abschied.

Cali: Salsa-Hauptstadt. -Der Welt, wenn man dem Marketing- Untertitel glauben schenkt.

Meine ersten Eindrücke der Stadt sammelte ich an diesem frühen Morgen allerdings erstmal auf meinem einstündigen Weg bis ins Zentrum. Vorbei an Schnellstraßen, den Menschen auf dem Weg zur Arbeit, wartend an Bushaltestellen und den endlosen Ständen der gelben Taxis. Vorbei an Wohnhäusern, Obdachlosen und den notdürftigen Camps, die sich einige venezolanischen Geflüchtete unweit des Straßenrandes errichtet hatten.

Im Zentrum angekommen landete ich in einem Motel. In dem blieb ich allerdings nur ein paar Nächte, da die Gegend vor allem nachts nicht sicher war und ich nicht die Warnung Ortskundiger brauchte, um zu merken, dass ich dort eigentlich nicht nachts alleine unterwegs sein sollte.

Also raus aus dem Zentrum. Ich zog in ein Hostel in dem Stadtteil für Hostels und gab mir Mühe, eine gute Touristin zu sein.
In Cali hieß das Salsa-Kurse nehmen und abends tanzen. Zusätzlich gab es noch unwesentliche andere Programmpunkte, um tagsüber beschäftigt zu sein. Diese schenkte ich mir und auch das mit den Kursen sparte ich mir im wahrsten Wortsinn nach zwei Basic-Probestunden. Blieb noch das nächtliche Ausgehen. Und sogar das erwies sich als schwieriger als gedacht.
Unter der Woche schien es beinahe unmöglich, die ’non stop-Party‘ zu lokalisieren, die mir vorab prophezeit worden war. Als wir an einem Dienstag sogar extra zu einer Partymeile mit Club an Club fuhren, waren ein Freund und ich auf der ganzen Straße unter den einzigen zehn Menschen. Der in jedem Reiseführer aufgeführte kultige Salsa-Schuppen, der normaler Weise dienstags und montags die Party People abspeiste, war quasi zum ersten Mal in seiner Geschichte geschlossen, natürlich gerade, als ich da war. Irgendwann bekam dann aber auch ich ihn zu sehen und der Vibe packte mich. An meinem zweiten Abend in Cali war ich zufällig auf irgendeiner Straße Emil, einem alten dänischen Bekannten, über den Weg gelaufen, den ich in Peru kennengelernt hatte. Er war mittlerweile für einige Zeit nach Cali gezogen und hielt sich mit Englisch-Unterricht über Wasser, während er sich seiner Salsa-Leidenschaft hingab. Er nahm mich zu einigen der Salsa-Clubs mit, in die die Community ging. Es machte Spaß, allerdings fiel mir bald immer mehr auf, dass der Touri-Anteil bei etwa 70% lag und man ansonsten überall immer den gleichen Gesichtern begegnete. Davon zu einem überraschend großen Teil junge westliche Salsa-Wütige mit längerem Aufenthalt in der Stadt, die nach ihren täglichen drei Salsa-Kursen abends in der Bar ambitioniert mit perfektionierter Körperhaltung und neu erwecktem Hüftschwung an einem vorbei schwangen. Die normalen europäischen Touris (die bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bemerkt hatten, dass sie überhaupt eine Hüfte hatten) blieben da schon mal beschämt an ihrem Ecktisch zurück, wo sie sich statt an eine*n attraktive*n Kolumbianer*/in lediglich an ihr Kaltgetränk klammern konnten.

Aber es gab sie auch, die Locals oder die weniger touristischen Bars oder die Leute, die mit mir nachts vor irgendeinem Menschen verlassenen Kiosk mit Musik auf der Straße tanzten, wenn der Eintritt anderswo zu teuer oder gerade nichts los war.

Mein Hostel bestand aus einer guten Mischung an Leuten. Davon waren viele Jonglierende und andere reisende Künstler*innen, aber auch einigen Touris. Zum Großteil Latinos und Latinas.

Nach einer Weile fiel mir allerdings auf, dass die augenscheinlich „normalen“ Menschen in der Unterzahl waren.

In dem ersten Gespräch, das ich mit jemandem in diesem Hostel führte, sprang dieser Typ gedanklich wie ein Flummi hin und her zwischen allerhand zusammenhangslosen Gedanken über sein Leben, das Universum unsere beiden Seelen oder seine eigene Großartigkeit, denen ich nicht ganz folgen konnte („Gespräch“ war übrigens zu viel gesagt. Meine Beteiligung beschränkte sich auf ein gelegentliches ungläubiges Nicken). Flüchten konnte ich übrigens auch nicht. Zu diesem Zeitpunkt wartete ich noch an der Rezeption, um überhaupt registriert zu werden. -Rückblickend hätte ich das vielleicht nicht tun sollen.

Ein anderer Typ, der in seinem Koffer allerhand kaputte Uhren und unbrauchbaren Schrott sammelte, wirkte zwar erst recht unauffällig, benahm sich allerdings manchmal auch recht sonderbar und sprach gelegentlich von Geistern.

Und dann war da noch Ra. Der charismatische athletische Typ, dem man seine fünfzig Jahre kaum glauben konnte, war nach eigenen Angaben ein ägyptisch-us-amerikanischer spiritueller Lehrmeister mit Schülern über den ganzen Erdball verteilt, von dem ich unter anderem lernte, dass es verschiedene Arten Mensch gab bzw. große Teile der Menschheit eigentlich keine richtigen Menschen waren. Diese stammten entweder von einer Art Aliens ab (indigenen Bevölkerung Lateinamerikas) oder den Neandertalern (oder trugen zumindest noch einige Prozent des genetischen Materials in sich- wofür es tatsächlich wissenschaftliche Belege gibt), was sie de facto allerdings böse machte, da alle negativen Eigenschaften auf dieses Genmaterial zurückzuführen waren. Die einzigen richtigen und guten Homo sapiens gab es ihm zufolge in Afrika.

Zudem belehrte er mich über einige andere Dinge, wie etwa die jüdische Weltverschwörung.

Als ich eines Abends mit einigen der Leute in meinem Alter in einem Park saß und mich in einer Nebenbemerkung über Ra lustig machte, sprangen ihm sofort eine Peruanerin (die mir bis dato eigentlich sehr sympathisch gewesen war) und ein Argentinier bei, der erst am Tag zuvor angekommen war.

Sie hielt ihn für die Reinkarnation des Sonnengottes Ra (‚Ra‘ war im Fall unseres Ra nur eine Abkürzung seines eigentlichen Namens) und glaubte, das Schicksal habe sie zu ihm geführt. In allem, was die beiden mir nun über Ras Thesen und ihr eigenes Wissen erklärten, waren sich die einander Fremden so einig und ergänzten sich so bemerkenswert lückenlos in Dingen die für meine heidnische Empfindung nicht mal irgendwie zusammenhingen, dass ich mich schließlich fragte, ob ich an meiner eigene geistigen Gesundheit zweifeln sollte oder ob in unserem Hostel bei der Hälfte der Leute eine Art ansteckender Gehirn-Pilz zugeschlagen hatte (oder vielleicht zumindest der gleiche YouTube-Algorithmus). Die Tatsache, dass sie selbst demnach von Aliens und bösen Neandertaler*innen abstammen mussten, schien sie zumindest nicht wirklich zu stören.

Am nächsten Morgen versuchte mir der Geister-Beschwörer in der Küche weiszumachen, dass mir die von mir unbemerkten Kratzer an meinem Arm von irgendwelchen nachtaktiven Geisterwesen zugefügt worden waren und ich mich schützen musste und ich fragte mich, ob es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ich mir meinen Schlafsaal mit Medusa und dem Teufel höchst persönlich teilen würde.

Der für gewöhnlich noch unscheinbarste der ungewöhnlich scheinenden Gäste war eine verbitterte alte deutsche Dame, die zur Abwechslung mal nicht an Verschwörung, dafür aber an akuter Verstummung (oder dem mürrischem Gesichtsausdruck nach vielleicht auch Verstopfung) litt. Sie mochte weder Cali, noch die kolumbianische Küche, noch das Land an sich und das Klima fand sie unerträglich. Vermutlich fühlte sie sich einsam, mied aber selbst alle Anderen und sprach mit niemandem (was eventuell auch zum Teil daran liegen mochte, dass sie keinen Brocken Spanisch sprach, verstand oder lernen wollte). Dafür war sie allerdings schon seit zwei Monaten in der Stadt und noch um einiges länger auf dem Kontinent.

Von den Leuten, die uns vor allem Übel schützen sollten, sprich den Angestellten, wurde einer in meinen ersten Tagen heraus geworfen, nachdem er des Diebstahls verdächtigt worden war.

Ansonsten war es ein recht sympathisches Hostel.

Nach anderthalb Wochen in Cali ging es weiter gen Norden. Ich wollte bis zum Karneval in Barranquilla an der Atlantik-Küste sein und vorher noch zumindest Bogotá und Medellín sehen.

Zunächst schloss ich mich drei Argentinier*innen aus meinem Hostel an, die den gleichen Weg wie ich hatten.

Zusammen mit ihnen gelangte ich nach Armenia und Salento.

Danach reiste ich alleine weiter nach Bogotá und es begann meine persönliche Touri-Episode…

Cocora-Tal bei Salento

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