Bahia

Und dann die neue Welt am Horizont.

Sobald man das Land erahnen konnte, klebten wir an Deck und unsere Augen an der Skyline. Je näher wir kamen, desto hibbeliger wurde die Crew. Und aus einiger Distanz wehten auch schon Trommelklänge und Musik herüber. Es war Freitag der 1. März und der Karneval in Salvador de Bahia war bereits im vollen Gange.

Sobald der Anker ausgeworfen war, machten wir uns also auf, den neuen Kontinent zu erkunden. (Von unserem Boot gingen allerdings weder Vergewaltigungen, noch Massaker aus. Alles was von unserem Boot ausging, waren wacklige Beine, die erstmal ein Rad schlugen und strahlende Münder, die erstmal den Boden küssten. (Wäre es aus pazifistischer Sicht nicht ein widersprüchliches Bild und ein sensibles Thema, würde ich sagen: Kolumbus hätte sich von uns eine Scheibe abschneiden sollen.))

Nach dem wir einen schier ewigen Registrierungsprozess hinter uns gebracht hatten, erforderten die Vorschriften unserer Crew den mindestens zweitwichtigsten Akt an Land: Wir suchten uns eine Bar. Zufällig landeten wir dabei im historischen Zentrum der Stadt. Menschen in den weltbekannten paradiesvogelähnlichen Kostümen parierten durch die Straßen, tanzende Menschen folgten ihnen. Die Musik laut, die Kleidung knapp, Bier an jeder Straßenecke…- Karneval.

Salvador ist geteilt in eine Ober- und eine Unterstadt. Unser Hafen befand sich im unteren Teil der Stadt in der Nähe des großen Aufzugs, der die beiden Ebenen miteinander verbindet. Es gibt auch andere Möglichkeiten die Ebene zu wechseln, aber das Konzept eines Aufzugs für die ganze Stadt finde ich schon lustig.

Die Stadt ist der Ort in Brasilien, an dem im 16. Jahrhundert die afrikanischen Sklav*innen ankamen. Bis heute ist ihr Bundesstaat Bahia derjenige mit dem größten afrikanischen Einfluss. (Dieser Bundesstaat hat übrigens allein etwa die Größe Frankreichs.) Angeblich wurden hier Samba und Capoeira geboren. Capoeira war in meiner Erfahrung im öffentlichen Raum auch immer noch sehr präsent und mit etwas Glück konnte man tagsüber oder abends auf dem ein oder anderen Platz Trainierenden beim Kämpfen über die Schulter schauen.

Präsent war auch die Sonne. Mindestens 30 Grad zu erwartender Höchsttemperatur und acht Stunden Sonne pro Tag im März stellten meine Crew regelmäßig vor die Existenzfrage. Ich persönlich fand das Wetter allerdings eigentlich noch ganz angenehm.

Das erste Mal als ich mich alleine auf Erkundungstour begab, schaffte ich es, erstmal versehentlich auf ein Militärgelände zu geraten, eine private Stadtführung umsonst zu bekommen, von einem Taxifahrer verarscht zu werden, nachts komplett in der Stadt verloren zu gehen und nach einem kurzen Aufenthalt bei der Polizei zu Hause nicht reingelassen zu werden.

Ich war an einem harmlos aussehenden Strand an Land gegangen. Wie sich herausstellte, gehörte dieser allerdings zur Basis des brasilianischen Militärs.

Als ich dies feststellte, war es aber bereits zu spät.

Ich wurde von einer bewaffneten Uniform an- und festgehalten bis eine andere Uniform herbei gefunkt worden war, die mich schweigend in Gewahrsam nahm und durch das komplette Gelände eskortierte (jetzt wisst ihr, wie ihr euch Top-Secret-Orte anschauen könnt). Glücklicherweise endete unser Weg aber nicht im Hochsicherheitsgefängnis oder im Verhör, sondern nur am anderen Ende der Straße. Wahrscheinlich war ich als unbewaffnetes und weiblichstes Wesen auf dem ganzen Gelände als ungefährlich eingestuft worden- ich hatte mir aber auch Mühe gegeben, meine Belustigung über die harten Burschen zu verbergen und einigermaßen eingeschüchtert auszusehen).

Im historischen Zentrum (Pelourinho), bestehend aus alten wieder aufgewerteten Kolonialhäusern und Touris, lief ich in eine Galerie.

Dort kam ich mit einem Angestellten ins Gespräch, der Englisch -und verkaufsbedingt auch ein paar Brocken aller anderen möglichen Sprachen sprach. Er lud mich ein, mich mit vor die Galerie zu setzen, erklärte mir den ganzen brasilianischen Karneval und die Welt und gab mir anschließend noch eine Führung durch die Altstadt.

Während ich in der Stadt unterwegs war, hatten die anderen den Ankerplatz gewechselt und nach einem Blick auf die Karte dachte ich, ich könnte es mit der Stunde Fußweg aufnehmen. Falsch gedacht. Ich verlor die Orientierung. Aber war ja kein Problem, ich konnte schließlich immer noch ein Taxi nehmen. Also winkte ich einem rettenden Automobil, zeigte dem Fahrer den Ort auf der Karte und wurde von ihm mit einem „Jetzt nur noch hier links um die Ecke“ (er käme wegen der Karnevalsmassen nicht durch) entlassen. Hinter der Ecke lag allerdings kein Boot, dafür entpuppte sich die Ecke als Teil eines Stadtteils, der nicht mal annähernd am Meer lag (-Wixer). Aber kein Problem, ich konnte mich ja durchfragen. Also durchgefragt, durch Karnevalsmassen gekämpft, durchs Dunkel gelatscht und schließlich irgendwo noch weiter entfernt geendet. Alle hatten mich davor gewarnt, nachts in irgendwelchen Teilen der Stadt herum zu streunern. Aber kein Problem, Menschen würden mir bestimmt helfen. Eine Gruppe von Leuten am Straßenrand, der ich mich irgendwie verständlich gemacht hatte, versuchte für mich mal wieder ein Taxi anzuhalten- es kam aber kein einziges. In dieser Situation wurde ich von einem Verkehrspolizisten aufgegabelt, der mich mit auf die Wache nahm. Ich musste die Crew erreichen, weil ich schon vor Stunden zurück sein sollte, allerdings hatte ich kein Handy, keine Nummern und Facebook war perfekter Weise auf den Rechnern auf der Wache gesperrt. Mein Polizist ließ mich also sein Handy benutzen. Allerdings hatte Facebook natürlich gerade dann beschlossen, meinen Account zu sperren, weshalb er mich auch noch in seinen Account ließ. Er und ich führten eine Google Übersetzer- Konversation, bei der herauskam, dass jetzt kein Taxi mehr zu meinem Ziel durchkommen würde, ich wahrscheinlich alleine ausgeraubt und vergewaltigt werden würde (abgesehen davon, dass ich mich allein und ohne Hilfsmittel direkt wieder verlaufen hätte) und sie mich nicht bringen konnten. Schließlich hatte aber jemand die rettende Idee, mir ein Moto(Rad)Taxi zu besorgen. Ich kam an. Nur um erstmal nicht in den neuen Hafen gelassen zu werden, da sie mich natürlich noch nicht kannten. Vom Boot konnte ich niemanden erreichen. Aber nach langem Hin und Her wurde auch diese Hürde überwunden und ich kam nach Hause.

Genau genommen war dieser neue Ort, an dem wir nun mit dem Boot ankerten kein Hafen, sondern ein Jacht- Club. Es gab Restaurants, ein Schwimmbad, reiche Leute und sonstige Extras. Wir waren sichtlich nicht das übliche Klientel und eigentlich nur dort, weil wir gelesen hatten, dass die ersten drei Tage umsonst waren. Außerdem waren wir die Einzigen, die auf ihrem Boot wohnten. Die anderen Menschen hatten ihre Jacht dort geparkt und kamen am Wochenende oder freien Tagen, um damit Ausflüge zu machen. Das bedeutete, dass die Infrastruktur für uns schlichtweg nicht existierte. Zum Beispiel pendelten wir (teilweise auch noch einzeln) tagsüber zu viel hin und her für den Shuttle-Service, der die Gäste zu ihren Booten und wieder an Land bringen sollte, sodass er uns die meiste Zeit über einfach ignorierte und uns wild winkend auf unserem Boot festsitzen ließ. Abends wurden wir dann nicht mehr nach draußen gelassen, da es nachts keinen Service gab. Irgendwie schafften wir es dann aber gegen Ende des Karnevals doch noch rausgelassen zu werden und profitierten noch ein letztes Mal vom Karneval am Strand.

(Insgesamt habe ich übrigens weder die Höhner, noch das Arsch-abfrieren im Freien vermisst).

Nach den Tagen des Feierns und der Menschenmassen (an manchen Orten konnte man kaum laufen und ich war natürlich wieder mal verloren gegangen), segelten wir erstmal zu einer Insel quasi gegenüber der Stadt. Itaparica. Wegen der Nähe zur großen Stadt schien die Insel ein beliebter Urlaub- und Freizeitort zu sein. Auch das Städtchen, in dem wir ankerten, war tatsächlich sehr hübsch mit seinen Häusern und den dekorierten Plätzen in Touri- Umgebung. Während der Tage, an denen die Touris da waren und am Strand eifrig den Sonnenuntergang filmten, spielten Livebands „La isla bonita“ und es hätte nicht idyllischer sein können.

Nach ein paar Tagen fuhren wir weiter zu einer anderen kleineren Insel, der Ilha de Bom Jesus (Insel des guten Jesus) und ankerten davor. Außer des Heiligen Geistes schien allerdings niemand diese Insel zu bewohnen, so ausgestorben wie sie trotz der Häuser aussah. Dafür war bei Flora und Fauna etwas mehr los (zum Beispiel sichteten wir einen unglaublich knallroten Vogel). Aber besonders ein blinder Passagier, der auf einer Fahrt mit dem Schlauchboot plötzlich seinen Kopf aus dem Motor steckte, erregte unsere Aufmerksamkeit.

Schlange im Motor

An sich waren wir nur umgeben von Stille und Grün (oder vielleicht noch etwas Zwitschern, Zirpen und ein paar anderen Farben). Vom Boot aus konnte man einfach zum Waldufer schwimmen, wenn man an Land wollte.

Aber dann sagten wir auch good old Jesus Lebewohl und fuhren zurück nach Itaparica.

Diesmal allerdings zu einem anderen Teil der Insel zu einem kleinen Wasserfall, der allerdings gerade trocken lag. Wieder sehr idyllisch und ruhig. Die einzigen Menschen, die wir trafen waren zwei junge Mütter mit Kindern, die wir am Strand kennenlernten und die uns noch zum Abendessen in ihr Ferienhaus einluden.

Nach den Insel-Tagen und nach insgesamt zwei Monaten des Zusammenlebens verabschiedete ich mich schweren Herzens von meiner Boot-Patchwork-Familie, verließ das Boot und kehrte zurück nach Salvador. Dort kam ich bei einer Couchsurferin unter, die schon einen Franzosen aufgenommen hatte. Da sie noch bei ihren Eltern wohnte, die nicht so viel von Couchsurfing hielten, gingen der Franzose (der offiziell irgendein Bekannter war) und ich eine Scheinbeziehung ein und als seine Freundin durfte ich bleiben.

Couchsurfing- Gang abends unterwegs.(Salvador im Hintergrund)

Es waren meine ersten Tage in einer baianischen Familie und ich lernte schnell, das Klopapier nicht in die Toilette, sondern in den Mülleimer zu schmeißen, dass zwei bis drei Duschen am Tag einen festen Bestandteil des Alltags darstellten und man Kaffee auch noch abends trinken konnte. Außerdem lernte ich einige für mich neue Früchte kennen, die brasilianischen Brigadeiro- Pralinen zu machen und den gefrorenen Acai zu schätzen, der in diesem Teil des Landes genau wie Frozen-Yoghurt und in ähnlichen Cafés gegessen wird.

Überraschungs-Party zum Geburtstag unserer Couchsurferin

Ich konnte gut leben in Salvador. Ich mochte die Stadt, mal wieder hielten mich alle für local und die Preise waren nicht hoch. Für umgerechnet etwa einen Euro konnte man schon in den Lanchonetes (typische snackmäßige Bäckereien) frühstücken. Für einen weiteren Euro konnte ich mir später zwei Schalen Obst kaufen oder als ich die günstigen Orte gefunden hatte, vier Bananen- Pastel (Banane in einem frittierten Teig). Leider habe ich kaum eigene Bilder von der Stadt. Wann immer ich dann doch unauffällig mein Tablet aus der Tasche ziehen wollte um zu knipsen, hielten mich meine jeweiligen Begleiter*innen davon ab. Und als ich einmal alleine unterwegs war und dachte, der Ort sei relativ sicher, blieb extra jemand fremdes stehen, um mich vor Diebstahl zu warnen.

An einem Tag schaute ich mal wieder bei dem Galeristen in der Altstadt vorbei. Und während wir so zwischen Touris, Häusern und Guides saßen, kam er auf die Idee, ich könne als Touri-Guide anfangen. Das historische Stadtviertel war nicht sonderlich groß, ich hatte die richtige Hautfarbe, um von der brasilianischen Geschichte zu erzählen, verfügte über ein paar Sprachkenntnisse, die Konkurrenz war nicht allzu groß und er würde mich mit den Ladenbesitzern zur Kooperation in Kontakt bringen. Allerdings blieb mir nur noch eine Woche in Salvador. Für danach war ich in einem Hostel in São Paulo als Freiwillige akzeptiert worden. Eigentlich hatte ich die letzte Woche nutzen wollen, um intensiv Portugiesisch zu lernen. Aber in einer Woche Portugiesisch lernen, die Historie Salvadors auswendig lernen und reich werden, als Stadtführerin… -Für mich klang das nach einer lohnenswerten Challenge.

Doch dann kam es anders. Erstmal zog ich weiter zu einem anderen Couchsurfer ins Stadtzentrum und in ein superschönes historisches Haus.

Dusche mit Ausblick in der Sonne, falls gewünscht

Von der Zeit, die ich eigentlich mit Portugiesisch Lernen hatte verbringen wollen, verbrachte ich die ersten Tage dann doch mehr als gedacht damit, mit den Mitbewohnern PlayStation zu spielen oder durch die Stadt zulaufen. Außerdem war mein Couchsurfing- Host neben Psychologie- Student, Sozialarbeiter und halbe Welt bereisten Edelsteinvertreiber des Familienvertriebs auch Tour-Guide im Chapada Diamantina Nationalpark. Er plante gerade eine Tour über die nächsten Tage, zu der er mich einlud. Und so fand ich mich kurz darauf später im Paradies wieder.

Das Pati- Valley, durch das wir drei Tage lang wanderten.

Die Truppe: 2 Mädels aus Amsterdam und ich

Der Nationalpark liegt offiziell in der Nähe von Salvador. Aber-wir erinnern uns: Brasilien ist nicht die Schweiz. Allein Bahia ist so groß wie Frankreich. Wir brauchten letztendlich sechs, sieben Stunden.

Ich hatte mich eigentlich schon darauf eingestellt, Begeisterung heucheln zu müssen, als wir durch das Umland zum Pati-Tal fuhren, sobald wir dann aber den Ausblick sahen, war ich dann doch überzeugt.

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