Nach 22 Tagen auf See weißt du, wie Wasser aussieht.
Die Tage verschwimmen wie die Wellen.
Wach-Schichten, spülen oder kochen ggf., schlafen, mit den anderen quatschen, essen….
Diese Wach-Schichten bestanden darin, hinter dem Steuerrad zu sitzen und ein Auge auf das Meer und mögliche Fremdkörper, den Wind, das Wetter und den Kurs zu haben und ggf. von Hand zu steuern, wenn wir nicht genügend Batterie für den Autopiloten hatten. Bei uns waren diese Schichten zwei Stunden lang, also bei fünf Personen acht Stunden Pause. Da wir außer kochen, spülen und mal gelegentlich etwas an den Segeln verändern eigentlich nichts tun mussten, hieß das viiiel Zeit. Ich habe von anderen Booten gehört, auf denen die Crew mehr eingespannt wurde, aber unser Käpt\’n war ziemlich entspannt. Und obwohl er mit 27 noch recht jung ist, brachte er uns souverän über das Meer. Er hatte schon einige Segelerfahrung gesammelt und auch bei den letzen Paralympics in Brasilien, bei denen Segeln noch eine Disziplin war, teilgenommen. Aber auch für ihn war es das erste Mal, den Atlantik zu überqueren.

Drei Wochen mitten auf dem Ozean jenseits der Zivilisation auf einer schwimmenden Nussschale, die vom Wind gelenkt wird…
Wie naturverbunden das klingt. Detox von all dem zivilisatorischen Gift…
Dazu kann man es auch ohne Zweifel machen.
Eine der Hauptbeschäftigungen meinerseits bestand allerdings auch darin, Game of Thrones zu schauen.
Über die Solarzellen am Boot bekamen wir meistens genug Strom, um tagsüber alle technischen Geräte (etwa für Musik und zum Lesen) am Leben zu erhalten und mit einer Fertignudelsuppe in den Händen, Filme oder Serien von der Festplatte anzusehen.

Aber natürlich waren da um uns herum soweit das Auge reichte nur das Meer und der Himmel. Eine wahre Wolkenausstellung, Sonnenauf- und -untergänge, der Mond, Farben am Himmel und natürlich in klaren Nächten die riesige Sternenkarte unter der wir trieben.
Unser Boot war, soweit ich das einschätzen kann, ziemlich komfortabel. 14 Meter lang und an der breitesten Stelle vier Meter breit. Drei Einzelzimmer, das Doppelzimmer, das ich mir geteilt habe, zwei Badezimmer- eins davon mit Dusche, die aber kaum benutzt wurde und in der Mitte eine recht weitläufiges Wohnküche. Das Boot verfügte über einen Wassermacher, der das Meerwasser in Trink- und Süßwasser umwandelt und mit dem Wasser aus dem Salzwasserhahn wurde gespült. Der Herd war freischwingend. Das sorgte bei den Wellen für die nötige Balance, damit die Töpfe nicht herunterfielen- oder zumindest nicht so schnell). Alle Schrankfächer und Schubladen waren wegen des Wellengangs mit Riegeln und/oder Druckknöpfen versehen.
Die beiden Klos funktionierten mit je einer Pumpe, die betätigt wurde, um Meerwasser zum Spülen hinein und das Ganze dann ins Meer zu pumpen.
An Deck gab es vier Solarpanels, die ausreichend Strom lieferten, außerdem gab es einen Motor, der angeschaltet werden konnte, um aus dem Hafen, einer ungünstigen Situation oder einer Windstille herauszufahren.
Um nicht das aufbereitete Wasser zu verschwenden, duschten wir uns in der Regel am Bug-Rand mit einem Eimer und Meerwasser. Dort war auch ein herausziehbarer Duschkopf eingelassen. Gelegentlich tat’s aber auch ein/e Regenshower.
Wäsche wurde falls nötig ebenfalls im Meer gewaschen und auch aller organischer Abfall und Klopapier fanden ihren Weg in den Ursprung allen Lebens. Eben dieser Ursprung beschenkte die Crew dann auch nach Wochen regungsloser Angel drei Mal mit Fisch. Es hatte schon so ausgesehen, als hätte die Menschheit den Atlantik bereits leer gefischt. Und generell war es recht ruhig auf dem Ozean.
Wir sichteten in den ersten zwei Wochen der längeren Etappe nur ein Mal ein anderes Schiff aus der Ferne. Je näher wir der Küste kamen, desto mehr Containerschiffe sahen wir allerdings danach.
Außerdem sahen wir einen schmusigen Wal, der mit uns auf Tuchfühlung gehen wollte, bis schnell der Motor angeschmissen wurde. In Küstennähe sah man leuchtende Bakterien, ansonsten auf dem Meer einige Delfine, Vögel die schwimmen und Fische die fliegen konnten, eine Schildkröte mit dem neusten Modetrend des Meeres: Einer Plastikkette mit Flaschen-Anhänger um den Hals. Keine Haie, keine Meerjungfrauen.
Es klingt ein bisschen wie der Rahmen für ein philosophisches Gedankenexperiment:
Fünf Erwachsene für Wochen zusammengepfercht auf einem kleinen Boot. Nie mehr als 14 m voneinander getrennt, ohne die Möglichkeit, sich mal frei zu bewegen, auszupowern, ohne Sex und (nach den ersten Tagen dann) ohne Bier. -Hält die Moral stand und wer wird zuerst umgebracht?
Zugegeben, es war nicht unbedingt einfach. Man hat einige Schwächen und Probleme der anderen kennengelernt, ist aneinander geraten- manche Kombinationen besonders oft (quasi ständig), hat sich nackt gesehen, mit Sprachbarrieren gekämpft…
Aber ich habe es mir ehrlich gesagt schlimmer vorgestellt. Es steht und fällt natürlich damit, wie du dich mit deiner Crew verstehst. Und auch wenn ich natürlich mal genervt war, kam wahrscheinlich ich von uns am besten mit allen klar. Auch mit der räumlichen Beschränktheit und der Abwesenheit von Land hatte ich kein Problem. Vereinzelt wäre ich nur gerne mal gerannt und über ein paar Dinge gesprungen. Und was das Zusammenleben angeht: Es ist ja auch nur eine WG. Zwar komplett isoliert vom Rest der Welt und ohne Fluchtmöglichkeit, aber die Merkmale bleiben die selben. Und natürlich haben wir auch viel zusammen gelacht und ermordet wurde niemand.
Mein Boot ließ sich in zwei Lager unterteilen. Die Jungs und uns drei „left wing liberals“. Die Jungs, die sich eher der politischen Mitte rechts zuordnen würden und die Mädels, wie die meisten Boat-Hiker (Schiff-Trampenden) eher im linken Hippie-nahen Spektrum zu verorten. Für manche waren diese Differenzen immer wieder ein Problem. Aber es wurde diskutiert (vor allem über Feminismus und natürlich auch andere Themen) und darüber war ich froh. Manchmal war es etwas herausfordernd, aber die Jungs waren immer bereit für eine gute Diskussion und das machte es für mich spannender und brachte einen selbst auch gelegentlich nochmal zum Überdenken.
Dinge, die ich auf dem Boot gelernt habe:
1. Koche nie, niemals Reis, bei viel Wind und Wellen, wenn du nicht die ganze Zeit daneben stehst und den Topf festhältst (glaub mir, wenn der runterfällt, wirst du dir wünschen, du hättest nur Aschenputtels Aufgabe zu bewältigen).
2. Gib zu, wenn du im Unrecht bist und versuche in Konflikten erstmal zu verstehen, warum die anderen in ihrer Sicht recht haben, bevor du das Recht mit deiner Sicht für dich beanspruchst (eigentlich logisch, aber immer wieder verblüffend, wie viel einfacher manche Situationen sein könnten).
3. Wenn du krank wirst oder eine Infektion oder sonst was hast und abgeschnitten von medizinischer Versorgung bist, bekämpfe es sofort und vertraue nicht auf die Natur bis du nicht mehr laufen kannst.
4. Zu Steuern, Knoten zu binden, Segel zu hissen, zu trimmen, Logbuch zu schreiben…
5. So gut zu laufen, wenn deine Umgebung schwankt, dass ich nun jeden Alkoholtest bestehen würde.
6. Delfine machen glücklich.
Kochen, Spülen – Schlafen, Geradeauslaufen ohne hinzufallen… Dinge, von denen du dein Leben lang dachtest, wenigstens das würdest du hinkriegen:
Bei Wellengang wird nochmal alles in Frage gestellt. Zwischen Teneriffa und Kap Verde hatten wir unglaublich viele Wellen. Aber als wir dann in Kap Verde wieder das Segel hissten, hauchte der Wind lediglich aus zwei Galaxien Entfernung und ließ uns so lange in Sichtweite zum Land herum dümpeln, bis Einige erwogen, nochmal zurückzuschwimmen. Und auch wenn der Wind dann irgendwann kam, blieb es während der meisten Zeit ziemlich ruhig und wir hatten nur wenig Wind.
Und dann schließlich: Schwimmen im Äquator. Mit einem Seil von der Spitze des Bugs um das Boot herumschwingen und hineinspringen in den 0ten Längengrad. Zur Feier der Überquerung wurden ein paar Shots aus allen Bauchnabeln getrunken und dann waren wir auf der Südhalbkugel. Überraschender Weise sah es dort nicht wesentlich anders aus. Aber als wir die Seite gewechselt hatten, wechselte zunächst auch das Wetter mehr und wir hatten in den ersten Tagen nach ununterbrochener Sonne fast jeden Tag bis zu mehrere Regenschauer. Es dauerte allerdings nie lange bis wir aus dem Regen herausgefahren waren und die Sonne uns wieder trocknete.
Die war während der Fahrt von Kap Verde nach Brasilien deutlich intensiver als während der ersten Etappe und an manchen Tagen war es unten im Schiffsbauch kaum auszuhalten. Wir hätten damit bestimmt ein gutes Geschäft machen können: „Ihre Auszeit vom Stress in der natürlichen, schwimmenden Entschleunigungs- Sauna im Herzen des Atlantik…“
Wenn wir nicht zu schnell fuhren, konnten wir ein Seil am Bug befestigen, das hinter dem Boot hergezogen wurde und an dem wir uns festhalten konnten, um schwimmen zu gehen und uns abzukühlen. An sich ein recht sicheres Prinzip, solange man immer am Seil blieb.
Ich allein verlor bei ein paar Sprung-Manövern allerdings das Seil schon zwei Mal, trieb dann mittellos im Ozean und wartete ab, ob sich zuerst die Quallen oder das Schiff meiner annehmen würden. Das Schiff drehte dann für gewöhnlich und kam zurück, um mich zu retten. Für die Statistik: Die Anzahl der nötigen Über- Bord- Rettungseinsätze für die gesamte Crew während unserer Fahrt betrug zwei Mal.
Was noch? …Seekrankheit. Ich weiß nicht, ob ich wirklich seekrank war. Die größte Challenge war für mich der erste Abend gewesen, als das Boot noch verankert war und die Crew uns zum „Vorstellungsgespräch“-Abendessen eingeladen hatte. Obwohl wir nicht fuhren, schwankte das Boot ziemlich, aber ich wollte nicht schon bevor es losging, den schwächsten Eindruck in der Segelgeschichte machen. (Zugegeben, mir war auch vorher schon etwas übel gewesen.) Deshalb riss ich mich zusammen und betete zu Poseidon, er möge mich die Fahrt und den vor allem erstmal den Abend überstehen lassen. Tat er auch. In den ersten Tagen war mir im Schiffsbauch etwas übel und ich musste mich auch übergeben. Aber danach war es dann auch vorbei und gut.
Den Ozean zu überqueren ist nicht zwingend so spannend, wie es klingt. Je nachdem wie gut bzw. schlecht man sich beschäftigen kann, kann es für manch einen möglicher Weise sogar sehr langweilig sein. Die meiste Zeit passiert nichts und Manchen fehlt das Land.
Aber dann sitzt du ganz vorne am Bug und siehst einer ganzen Delfin- Gang zu, wie sie um dich und das Boot herumtollt, während am gefärbten Himmel die Sonne untergeht.