Peru Küste- Warum Köche nicht kochen, Surfer nicht schwimmen und Manager nicht sprechen können müssen

(Juli/August)

Als wir nach Lima einfuhren, hatte mich der LKW-Fahrer gefragt, wohin ich denn wollte. „Ich weiß nicht, vielleicht ins Zentrum.“, hatte ich gesagt. „Da ist das Zentrum“, hatte er mir dann im Vorbeifahren gezeigt und war etwa noch zehn Minuten weiter gefahren. Schließlich wurde ich vom LKW irgendwo in einem bunten Gewimmel ausgespuckt. Ich war sichtlich die einzige Fremde und planlos standen mein Riesen-Rucksack und ich nun am Straßenrand. Schließlich mischten Rucksack und ich uns unter die Menschenmassen an der Bushaltestelle. In Sekundenschnelle fuhren die Busse vor, spuckten Leute aus, die Reintreiber*innen schrien Ortsnamen in den Lärm, trieben die Leute rein und fuhren davon. Nach einer Weile Ratlosigkeit stieg ich einfach in den nächsten Bus, der mir bestätigte, dass er ins Zentrum fuhr. Im Bus stellte sich dann heraus, dass ich mich allerdings noch gar nicht in Lima selbst sondern nur in einem Vorort auf der anderen Seite des Flusses befand.

Letztendlich mischte sich der gesamte hintere Teil des Busses ein, um mir zu helfen. „Wie viel hast du für den Bus bezahlt?“- „Die haben ihr zu viel abgezogen.“- „Nein, nicht dieses Zentrum. Sie will ins Zentrum von Lima.“ -„Sie sollte dort aussteigen.“- „Nein, da kann sie nicht aussteigen, da wird sie auf jeden Fall ausgeraubt.“ Das klang zwar alles schon mal vielversprechend, aber schließlich kam ich gefahrlos an.

Der Couchsurfer, bei dem ich unterkam, wohnte in einem „sicheren“ Stadtteil. Allerdings war er viel zu flirty drauf (Er meinte auf dem Sofa sei es viel zu kalt und ich müsse daher auch in seinem Bett schlafen.) Außerdem arbeitete er den ganzen Tag über.

Ich würde mich also so viel wie möglich eigenständig beschäftigen müssen. Historisch und kulturell interessiert wie ich war, nahm ich also wieder mal an einer Free walking Tour teil. Diesmal mit einem indigenen Guide mit Cowboy-Hut und sichtlich animiert-automatisierter Textwiedergabe („Any questions?- Fooooloow me beautiful group!!“).

Damit sah ich meine Touri-Pflicht allerdings auch als erfüllt.

Von allen Seiten wurde mir eingeredet, noch mehr Kirchen oder den Miraflores-Stadtteil zu besichtigen. Jedoch war ich überzeugt, dass Jesus mich mittlerweile auch schon nicht mehr sehen konnte und allein schon, dass ausnahmslos alle aus meiner „beautiful group“ in Miraflores untergebracht waren, machte mich schon skeptisch. Immerhin unternahm mein Couchsurfer nach der Arbeit einmal mit mir einen abendlichen Spaziergang nach Miraflores und den dortigen Parque del Amor („Liebespark“- natürlich). Damit hatte ich das auch abgehakt und zog es vor, durch die anderen Stadtviertel zu treiben und zurück an das andere Flussufer zurückzukehren. 

Der Guide hatte unserer „beautiful group“ nicht gerade empfohlen, dorthin zugehen, aber wenn wir doch gehen wollten, sollten wir besonders auf unsere Sachen aufpassen. Er wohnte immerhin selbst dort und hatte uns bereits von der Ausstattung-oder Nicht-Ausstattung seiner Wohnung erzählt. Mein Couchsurfer war alles andere als begeistert, dass ich diesen Ort den Museen vorzog.

Ich hatte eigentlich nur tagsüber durchspazieren wollen, verquatschte mich dann aber doch an jeder Ecke dort (etwa eine ganze Weile mit einer Oma, die mir von ihrem Stadtviertel erzählte und auch noch allerhand Reise-Tipps für „ihr schönes Peru“ gab, sowie später noch mit anderen Menschen), sodass es schon spät war, als mich einer von ihnen schließlich zum Bus brachte und ich sicher zurück in mein sicheres Stadtviertel kam.

Nach ein paar Tagen fuhr ich dann bequem im Bus gen Norden hoch und verbrachte ein Wochenende mit Jule, einer Freundin aus Köln, und ihren ebenfalls deutschen Mitfreiwilligen, die gerade für ein Jahr an sozialen Projekten in Ecuador teilnahmen.

Kleine Touri-Attraktion ausgelöst

Ich hatte keine Ahnung gehabt, wohin es mich nach diesem Wochenende treiben würde. Als ich allerdings schon einmal dort war, hatte ich Bock, länger an Strand und Meer zu bleiben und schaute ich noch währenddessen auf workaway nach Projekten in der Umgebung. Die Antwort eines Surfhostels erhielt ich prompt: „Wir brauchen dringend jemanden ab sofort.“ Einen Tag später war ich auf dem Weg nach Lobitos.

Lobitos war ein Ort an der Nordküste Perus, der das ganze Jahr über Wellen hatte. Wahrscheinlich deutlich mehr Wellen als Menschen und von diesen Menschen verbrachten die meisten wahrscheinlich die meiste Zeit in ebendiesen Wellen. Will sagen: Neben dem kleinen Anteil an lokaler Bevölkerung wurde der Ort hauptsächlich von (anderen) Surfer*innen bevölkert.

In meinem Hostel gab es außer mir noch drei us-amerikanische Freiwillige. Von denen zogen die beiden Jungs allerdings um in den Surfequipment- Verleih des Hostel-Besitzers (wo ihre einzige Aufgabe reine Anwesenheit war), Nicki, die andere Freiwillige und ich waren für das Hostel zuständig.

In meinem Hostel in São Paulo, Brasilien, war ich wegen meiner bescheidenen Portugiesisch Kenntnisse ganz schön ins strugglen gekommen. Ich hatte acht Stunden am Tag arbeiten müssen, es waren aber auch fast jeden Tag mehrere neue Leute angekommen. Man hatte mich nach einiger Zeit, in der ich meine Flipflops immer in irgendeiner Ecke vergessen hatte, angewiesen, doch bitte während der Arbeit Schuhe zu tragen. Wenn meine Kolleg*innen einen Joint angezündet hatten, dann darauf bedacht, nicht von unseren Chefs bemerkt zu werden. Nach einer Zeit mäßiger Motivation bei der Arbeit waren wir sogar einige Male einer Putzbelehrung und -Kontrolle unterzogen worden.

Ich brauchte nicht lange, um zu merken, dass die Dinge im Surf Camp etwas anders liefen.

Die Arbeitszeit bestand offiziell aus nur drei Stunden am Tag, wovon der erste Teil aus Putzen bestand. Dieser Teil wurde lediglich durch das kleine Detail erschwert, dass das Hostel über kein einziges Putzmittel verfügte. Das Einzige, was man etwa für die Badezimmer tun konnte, war, die Wassertonnen neben der Toilette aufzufüllen, weil die Klospülungen nicht funktionierten. Glücklicherweise gab es Klobürsten, aber sagen wir: die Kloschüssel sah nicht mehr wirklich jungfräulich aus (war aber anscheinend noch nie von einem Putzmittel penetriert worden). Der zweite Teil der Arbeit richtete sich danach, wo gerade Bedarf bestand. Während unserer Zeit hieß das: Muschelketten auffädeln.

Der Großteil des Geländes war eher verfallen. Die Rezeption musste nicht besetzt werden. Keine Internet-Präsenz, geschweige denn Buchungssystem, kein Telefon, keine Kasse. Wegen der Gäste brauchte man sich also generell wenig Sorgen zu machen. In der Regel kamen keine an. Von denjenigen die da waren, hatten sich die meisten für etwa einen Monat eingemietet und kannten sich schon besser aus als wir.

Mein Chef, der das Hostel für den peruanischen Besitzer und Surflehrer managte, war ein ausgewanderter Kanadier, der nach vier Jahren in Peru immer noch keinen Einkauf auf Spanisch führen konnte. Seine Sprachkenntnisse beschränkten sich auf das Allernötigste. Mir war vorher nicht bewusst gewesen, wie weit man mit „ja“, „nein“ und „morgen“ kommen kann. Der Zahlenraum von eins bis zehn konnte durch die Zusammensetzung dieses Zahlen-Grundgerüsts ins Beliebige erweitert werden. So ergab etwa „acht-sieben“ 87. Allerdings brauchte er auch nicht mehr. Die meiste Zeit verbrachte er mit Kopfhören im Ohr an seinem Laptop, an dem er Candy Crush spielte oder irgendwelche Online-Investitionen tätigte. Wenn er diesen Platz verließ (hauptsächlich zum Kiffen oder dem gelegentlichen Handstand am Strand vor der Tür), dann barfuß und meist immer noch mit Kopfhörern und mit Kapuze im Gesicht. Wenn dieses Outfit dann ab und an noch von einer Sonnenbrille abgerundet wurde, war Kommunikation komplett unerwünscht, bzw. unmöglich. Erwischte man ihn ohne Schutzwall sah er sich also mit nervigen Freiwilligen konfrontiert, die um Putzmittel bettelten oder ihm soziale Medien erklären wollten. Instagram hielt er für eine Buchungsseite, auf meine wiederholte Bitte nach Putzmittel fürs Bad kaufte er neue Handseife und auch Nikis Herzenswunsch, einen Vorhang für die zweite Dusche (-„Wir können uns keinen Duschvorhang leisten“), sollte nie erfüllt werden.

Die Dinge, für die er dann aber doch Interesse und sogar Emotionen zeigte, waren die Hunde und ein Kaktus. Die Hunde waren dem Hostel zu gelaufen und der Kaktus stand in den Ruinen des Hinterhofs. Daraus bereitete er San Pedro zu (ohne die Hunde, lediglich der Kaktus). Dabei handelte es sich um eine der bekanntesten und beliebtesten psychedelischen Drogen (die ja hier legal waren) vor Ort oder wie er sagte (und da war er nicht der Einzige) „Medizin“. Interessierte konnten ihn dann für einen Tagestrip (im wahrsten Sinne des Wortes) in der Wüste buchen.

Kleine Pause von den scheiß Muschelketten

Sein Drogenkaktus war allerdings das Einzige, das er in der Küche kochte. Ansonsten ernährte er sich von dem Angebot der Essensmänner. Die Essensmänner oder -Verkäufer waren ein wichtiger Bestandteil im Surfcamp. Es begann morgens mit dem Brotmann, der am Haus vorbei radelte, ging an einigen Tagen der Woche über zu den Obst-&Gemüsemännern mit ihrem Wagen, zwischendurch kamen der Eis- oder Gebäckmann und um 17:30 der Pizzamann. Der Pizza- (oder an manchen Tagen Brot- oder Sandwich-) Mann war ein ausgewanderter Brite und der einzige Freund unseres Chefs.

Manche Tage verbrachten Niki und ich hauptsächlich glücklich und friedlich in der Hängematte in der Sonne mit Blick auf das Meer und die Straße und warten auf das Essen auf Rädern. Eintreffen besagter Männer führte zu augenblicklicher Serotonin – Ausschüttung. Unsere einzige (dafür aber essentielle) Sorge: Dass einer der Männer nicht kommen könnte. Eine Garantie oder einen geregelten Zeitplan gab es natürlich nicht.

Aber dafür war ich ja eigentlich nicht hergekommen. Wir hatten als Freiwillige kostenlosen Zugriff auf das Surfequipment und ich hatte vor, zum ersten Mal surfen zu probieren. Ein Mal am Tag stand also surfen an. Und weil die Arbeit und das Leben sonst zu entspannt gewesen wären, hatte ich so eine neue Problemquelle. Es zeigte sich, dass ich erst mal allein am Element H2O scheitern sollte. Bei meinem ersten Versuch schaffte ich es nicht einmal bis hinter die ersten zwei Wellen, ohne von Neptun wieder brutalstens umgespült und fern gehalten zu werden. An ruhigeren Tagen stellte sich heraus, dass die Hauptaufgabe für mich (mit meiner Standart-Brustschwimm- Kompetenz im unteren Spektrum der Skala), erstmal paddeln lernen sein würde. Irgendwie hatte ich mich vorher nur auf das Brett in der Sache fokussiert und nicht so genau bedacht, dass Schwimmen ein Teil dieses Wassersports sein könnte. Schwimmen war immer mein Hass-Sport gewesen, indem ich schon in der Schule die Schlechteste gewesen war. Ich war eigentlich auch selten freiwillig geschwommen. Mein Vater konnte nicht schwimmen und wenn meine Mutter sich dem Wasser mal freiwillig aussetzte, hörte der Spaß auf, wenn das Wasser es wagte, ihren Kopf zu berühren. Auch ich realisierte, dass ich unerwartet tatsächlich mehr oder weniger Angst bekam, sobald sich mir eine große Welle nährte, vor allem sobald sie mich komplett umwirbelte und generell sobald ich das Brett oder den Halt unter den Füßen verlor. Wenn die Strömung stark war, trieb ich ab und zu auch unbemerkt weiter ab, als mir bewusst war. (Schließlich war ich nicht umsonst zwei Mal mitten auf dem Atlantik schiffbrüchig geworden und hatte vom Segelschiff gerettet werden müssen).

Kleines Box-Training

Da stand ich also nun ohne einen trainierten Muskel im Körper und mit Angst vor dem Wasser und wollte surfen lernen. Also erst mal einen Schritt zurück. Ich ließ mich von Niki einer Nachhilfe im Kraulen unterweisen und fing an Gleichgewichtsübungen zu machen, laufen zu gehen und meine Muskeln zu trainieren, da ich mit diesem untrainierten Puddingkörper wohl nicht einmal gegen eine Kaulquappe in einem Teich würde ankommen können.

Nach einer Weile gewann ich schließlich auch mehr Vertrauen zu Wellen und Wasser und konnte irgendwann sogar mit dem eigentlichem Surf-Training beginnen.

Praktischer Weise bekam ich von einigen erfahreneren Surfern kostenlosen Surfunterricht angeboten. Dabei ein Mal von einem Anfangfünfziger, der vor zwei Jahren mit dem Surfen angefangen hatte und, laut eigener Aussage, nicht (!) schwimmen konnte. („Die Wellen spülen dich schon immer Richtung Strand zurück.“) Es gibt eben einfach immer wieder Menschen, die dir zeigen, wie viel doch möglich ist…

Zwei weitere dieser Exemplare waren zwei Jungspunte aus Lima, die gerade wegen der Entspanntheit des Ortes und zum Surfen hergezogen waren und im Erdgeschoss des Hostels ein Restaurant eröffnen wollten. Die Eröffnung verschob sich immer wieder, da die Jungs beispielsweise kein Ahnung vom Streichen oder von Renovierung gehabt hatten (es sei ihnen verziehen, immerhin wollten sie keinen Maler-Lackierer-Betrieb eröffnen). Was sie allerdings auch nicht konnten, war kochen. Als wir das erste Gericht Probe aßen, stellte sich heraus, dass sie über keinerlei Erfahrung verfügten, aber Dank ihres neuen Lehrmeister YouTube war auch das nur noch eine unwichtige Hintergrundinfo.

Die allgemeine Hauptbeschäftigung in Lobitos bestand aus surfen, vielleicht noch Yoga, kiffen und essen. (Im Falle unserer britischen Gästin auch täglichem Oben-Ohne-Tanzen am verlassenen Strand). Gegen Ende unserer Zeit als Freiwillige kam Niki und mir dann die Idee, Brownies zu backen und zu verkaufen. Schließlich hatten wir die Essensmänner nicht all die Zeit beobachtet und nichts gelernt. So wurden wir also die „Brownie-Mädchen“. Niki blieb dafür noch eine Weile länger in Lobitos, ich machte mich auf den Weg zum Touri- und Partyort der Region.

Im Gegensatz zu Lobitos war in Mancora der Teufel los. Jedes dritte Haus, das kein Restaurant oder Laden mit Souvenirs, Badebekleidung und Häkeltops war, war (auch) eine Unterkunft. Am Strand wo das Meer aus Wasser endete, begann jenes aus Familien, Pärchen und Jugendlichen. Liegestühle, Essens- oder Schmuck-Verkäufer*innen und sonstiges Fußvolk waren sofort zur Stelle, um ihnen jeglichen Wunsch von den Augen abzulesen. Und sollte doch einmal Langeweile aufkommen, bestand die Möglichkeit, Squats und Pferde zu Sand oder Surfbretter und Bananen zu Wasser zu reiten. Hauptsächlich aber kamen die Leute, um den Tag über am Strand zu liegen und abends in den Clubs die angesammelten Kalorien mit Alkohol zu verbrennen.

Als ich ankam war es der Abend des Unabhängigkeitstages. Ich errichtete mein Lager auf dem nächsten Campingplatz und mischte mich unter die Leute, um Reden auf das Vaterland anzuhören und unter den Partypeopeln den ersten Kuchen zu verkaufen.

Ich hatte eigentlich vorgehabt, nur ein paar Tage zu bleiben, aber natürlich kam es wieder anders.

Am nächsten Tag auf meinem ersten Erkundungsgang bei Tageslicht sah ich an einem Restaurant einen Aushang, man suche eine englischsprachige Bedienung. Ich erkundigte mich daraufhin und nachdem die Bedingungen geklärt waren, konnte ich am selben Abend noch anfangen. Mein Job bestand hauptsächlich darin, zuerst die Leute reinzuquatschen und sie anschließend zu bedienen. Anfängliche Schwierigkeiten kamen dadurch auf, dass ich allerdings keinen Schimmer von peruanischer Küche und somit keine Ahnung hatte, was sich unter den Namen auf der Karte vorzustellen war. Dass wir die Hälfte der Karte prinzipiell nicht im Angebot hatten und jeden Tag irgendwelche Zutaten ausgingen, machte es auch nicht leichter. Glücklicherweise waren wir nur ein kleines Restaurant, bestehend aus drei Tischen und drei Menschen und meine zwei Kollegen (der Besitzer und ein Koch) waren zum Glück recht entspannt und improvisationsbereit. Die beiden waren erstens keine deutschen Prinzip-Fanatiker und zweitens hatte das Restaurant erst seit zwei Wochen geöffnet und die beiden erfanden teilweise auf meine Fragen hin Preise oder Konzepte noch einmal komplett neu.

Das Restaurant fügte sich ein in eine Kette aus Restaurants im Rücken des Strandes, die alle über das mehr oder weniger gleiche Angebot verfügten. Unser kleiner Fisch hatte es deswegen nicht leicht im Haifischbecken und an den meisten Tagen mussten sie mir etwas weniger zahlen, als vereinbart.

Meine zwei Kollegen waren separat aus dem grauen Lima in den sonnigen Strandort gekommen und hatten eigentlich andere Pläne für das Restaurant gehabt. (Irgendwie kam mir das bekannt vor.) Das Konzept, bzw. die Karte hatte ein Freund und Mitinhaber entworfen, der ein Fastfood-Restaurant um die Ecke hatte (und wie unser Koch meinte, keine Ahnung von seriösen Restaurants). Dem anderen Besitzer hatte mit seiner us-amerikanischen Mitbewohnerin, die gerade bei ihrer Familie war, ein etwas abwechslungsreicheres Restaurant mit gesünderem, veggie-freundlicherem und westlicherem Angebot vorgeschwebt. Allerdings hatte er sich darauf eingelassen, es erst einmal traditionell zu versuchen und dann nach und nach umzustellen. Dementsprechend amused war allerdings unsere Yoga-Fee, als sie schließlich zurück aus den Staaten kam, das Restaurant inzwischen geöffnet vorfand, die Karte allerdings keins ihrer phantasievoll entworfenen Gerichte, dafür lediglich traditionelle peruanische Fisch- & Fleischgerichte beinhaltete und statt ihrem Tee aus fermentierten Bakterien (der, wie mir Niki versicherte, als sie mal zu Besuch kam, allen Yogis und Hipstern in den USA ein Begriff war) Bier und Kola angeboten wurden. Am nächsten Tag gab es also unter anderem auch Smoothies, Avocado-Toast und Salate, die Länge meiner Angebot-Ausrufe wuchs ins Unermessliche, aber es lockte tatsächlich einige Gringos mehr an.

In unserer Reihe von Restaurants, war ich die meiste Zeit über die einzige weibliche Reintreiberin. Das hieß, ich musste mich gegen einen Haufen dominanter Venezuelaner durchsetzen (also no ofense, so hatte ich meistens auch amüsante Gesellschaft) und bekam außerdem, den ganzen Tag auf dem Präsentier-Teller stehend, die ganze männliche Aufmerksamkeit samt Kommentaren ab. Das führte dann zu interessanten Gesprächen mit meinen Kollegen über die Missverständnisse zwischen Latinos und europäischen Frauen. Unser Koch konnte sich gar nicht vorstellen, dass normalerweise die wenigsten Deutschen ohne Grund oder Vorwand fremde Frauen auf der Straße ansprachen. („Nicht mal so: ‚Hallo, guten Morgen, wie geht es dir? Wie schön du bist…“ – „Nein, die Partnersuche verläuft in der Regel nicht auf der Straße.“ – „Hier kannst du die zukünftige Mutter deiner Kinder auf der Straße finden.“)

Ich arbeitete jeden Tag etwa neun oder zehn Stunden mit einem Tag frei die Woche. Manchmal bekam ich dabei Unterstützung von zwei inoffiziellen Kollegen, den Kindern zweier Schmuck verkaufenden Paare, für die es das beste Spiel der Welt darstellte, mit den Speisekarten die Leute zu verfolgen.

Die Arbeit war zwar nicht direkt anstrengend, allerdings war es einfach viel Zeit, die ich dort festsaß. Ich schaffte es aber trotzdem, ab und an eine Stunde an den Strand oder abends weg zu gehen oder konstant weiter Brownies zu backen und zu verkaufen. Und die Arbeit im Restaurant machte meistens Spaß. Ich bekam zwei Restaurant-Mahlzeiten am Tag, hatte immer Zeit für ein Schwätzchen mit Eddie, dem charmanten Opa, in dessen Kiosk ich die Getränke holen ging oder auf dem Rückweg mit David, dem kolumbianischen Straßen-Tatoovierer und Hobby-Philosophen um die Fünfzig. Generell konnte ich im Restaurant viel mit Leuten quatschen. Aber auch durch den Brownieverkauf am Strand und in Hostels kam ich mit vielen Leuten in Kontakt und bleib immer irgendwo hängen. Dadurch traf ich dann auch mal mehr peruanische oder westliche Touris. Mein Campingplatz dagegen war voll von jungen argentinischen, kolumbianischen oder sonstigen südamerikanischen Rucksackreisenden, die sich typischer Weise durch Schmuck-Herstellung, Jonglage, Essensverkauf oder Straßenmusik ihre Brötchen verdienten. Das hieß, ich war irgendwie mehr unter meinesgleichen und die Stimmung war immer top.

Nach den drei weiteren Wochen Sonne, in denen der Arbeitsweg einfach nur den Strand hinunter führte und ich praktisch den ganzen Tag über das Meer sehen konnte, zog ich weiter. Zuerst ging es auf einen Abstecher an die ecuadorianische Grenze, um meinen Aufenthalt zu verlängern und anschließend machten ich mich zur Abwechslung mal auf den Weg in die Berge.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert