Während ich noch an der Parlamentsgeschichte dran war, ergab sich noch etwas anderes. Ich bekam eine Rückmeldung von der Zeitung nd. Meine Anfrage sei irgendwie durchgerutscht, aber falls ich noch im Land sei, würde man gerne eine Reportage aus dem Senegal unter der neuen Regierung lesen. Ich überlegte mir, dafür den Fokus mehr auf die wirtschaftlichen Pläne zu legen. Und als ich so durch die senegalesischen Schlagzeilen scrollte, stieß ich auf Gold. Im wahrsten Sinne des Wortes: Die staatliche Minengesellschaft und der staatliche Investitionsfond hatten gerade dieser Tage offiziell Vereinbarungen über eine nationale Goldraffinerie unterzeichnet.
Da ich außer der gleichen kurzen Meldung in verschiedenen Outlets keine weiteren Informationen dazu finden konnte, musste ich wohl direkt an der Quelle nachfragen. Am nächsten Morgen stand ich, wie der Zufall es wollte, also an derselben Schnellstraße, unweit des Abschnitts, in dem ich schon so viel Zeit auf der Suche nach dem Parteibüro verbracht hatte. Diese Location war auf der Internetseite der Minengesellschaft angegeben gewesen, wie sich herausstellte, war die Adresse aber nicht mehr aktuell. Nach ein paar Anrufen und mithilfe eines findigen Taxifahrers war dieses Problem aber schnell gelöst und ich stand nun am richtigen Einlass. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, einfach abgewimmelt zu werden. Stattdessen wurde ich aber schließlich in ein Büro geschickt, in dem sich ein mitteljunger Mitarbeiter von seinem Schreibtisch erhob und mir bedeutete, an einem kleinen Kaffeetisch für Besucher:innen Platz zu nehmen. Nachdem ich ihm mein Vorhaben erläutert hatte, beantwortete er mir bereitwillig alle meine offenen Fragen, gab mir seine Karte und versprach, mir die offiziellen Zahlen aus ihrer laufenden Datenerhebung zuzuschicken. Das war fast zu einfach gewesen. Am nächsten Tag markierte ich mir also ein paar Orte auf Maps und packte meine sieben Sachen in eine kleine Tasche. Ich fuhr in die Goldregion.

Die Region Kédougou liegt ganz im Südosten des Senegals an den Grenzen zu Mali und Guinea. Dort befinden sich mehrere industrielle Goldminen und auch Anwohner:innen oder Goldsucher von außerhalb betreiben Goldwäsche oder handwerklichen Goldabbau.
Die Fahrt sollte mit dem Bus von Dakar aus etwa 10 Stunden dauern. Da ich aber vor dem letzten Drittel umsteigen musste, hing ich dann dort noch einmal einige Stunden fest, während derer sich mein Sammeltaxi einfach nicht füllen wollte. Als ich mich schon mit meinem Ticketverkäufer vor dem versammelten Marktplatz angelegt hatte, um mein Geld zurückzuverlangen und es bereits dunkel geworden war, fuhren wir dann doch noch los. Die Sterne waren aus dem Taxifenster so strahlend klar zu sehen, dass spätestens dann auch alle schlechten Vibes verflogen waren und ich happy wegdöste. In Mako, der ersten Ortschaft mit einer Mine, angekommen, stieg ich aus dem Taxi auf eine nächtliche, menschenleere Straße. Ich hatte erst unterwegs realisiert, dass es bereits hier eine Mine gab und der Ort für mich günstiger lag, als die Provinzhauptstadt etwas weiter entfernt. Auf Maps war mir ein Restaurant mit Unterkunft angezeigt worden, davon war aber in der Realität nichts zu sehen. Ich fragte einen Mann, der als Nachtwächter vor einem geschlossenen Laden saß. Die Unterkunft gab es tatsächlich nicht mehr, aber er lud mich ein, mich zu ihm zu setzen und nach einer Weile sogar ins Haus seiner Familie. Morgen Früh könnte er mich dann zu einer Unterkunft bringen, die jetzt zu weit weg war, um sich um diese Zeit noch auf den Weg zu machen. Ich legte mich also im Haus neben seine schlafende kleine Tochter und das letztendlich noch für zwei weitere Nächte.

In diesem Teil des Landes war es ungleich wärmer als in Dakar und wenn die Sonne am höchsten stand konnte man bei bis zu 45 Grad nicht viel mehr tun, als sich vor den Ventilator zu legen und sich totzustellen. Das lernte ich am nächsten Tag, nachdem ich so übermotiviert gewesen war, direkt nach Gold suchen zu wollen. Gassimo, mein neuer Gastgeber, nahm mich auf seinem Motorrad mit zum nächsten Dorf, in dem viele Familien Gold wuschen. Tagsüber war er eigentlich Grundschullehrer, aber gerade waren Ferien. Osterferien wie er meinte- was mich in einem zu 95% muslimischen Land dann doch stutzig machte, aber er meinte, das hätten die Franzosen eingeführt. Nach ein wenig Plausch mit den Dorfbewohner:innen und nachdem ich alle meine Fotos gemacht hatte, wollte er dann aber auch so schnell wie möglich zurück nachhause. Es war Ramadan und die Hitze war während des Fastens nochmal schwerer auszuhalten. Ich hing also ein wenig mit den Kindern und den Onkels im Dorf, lernte ein, zwei Wörter mehr auf Fulani und wie man ein frittiertes Omelett machte, so wie man es in den Sandwiches an der Straße bekam (es trug auf jeden Fall zum Lerneffekt bei, dass Aminata, meine 11-Jährige Bettnachbarin, bei der ersten Demonstration die Frittier-Pfanne umstieß und wir das Ganze direkt noch einmal von vorne versuchen konnten).


Als wir abends bei Tee zusammen saßen, stellte sich heraus, dass Bathi, ein Kindheitsfreund von Gassimo tatsächlich auch am nächsten Tag Richtung Sabodala fahren wollte. So genau, wie er mir auf meine Fragen zum inoffiziellen Goldabbau hatte antworten können, hatte ich mir schon gedacht, dass er damit mehr zu tun haben musste. Nun wollte er für ein paar Tage im Umland von Sabodala nach Gold suchen. Da es uns beiden gelegen kommen würde, bot er an, mich auf seinem Motorrad mitzunehmen, wenn ich die Reparatur bezahlte, die er sich aktuell nicht leisten konnte. Dann hätten wir auch gleich ein Fahrzeug, mit dem wir uns vor Ort im Sinne meiner Mission von A nach B bewegen könnten. Gesagt getan. Am nächsten Morgen brachte er das Motorrad in die Werkstatt und ein, zwei Stunden später waren wir unterwegs.
Mako und Sabodala waren, wie ich zuvor auf der Karte gesehen hatte, direkt durch eine Straße verbunden, über die man nicht den Umweg über die Stadt Kédougou nehmen musste. Als wir auf diese ‚Straße‘ einschlugen, wurde mir allerdings auch klar, warum es sich dabei nicht um die gebräuchlichste Route handelte. Während wir über die sandigen Hügel und Schlaglöcher hinwegpolterten, wurde mir außerdem wieder bewusst, dass unser Transportmittel bis vor wenigen Augenblicken noch komplett funktionsuntüchtig gewesen war. Die zwei Polizisten, die am Rand der Landstraße ein paar Kilometer landeinwärts ihr Lager aufgeschlagen hatten, mussten herzlich lachen, als sie unser Trio kommen sahen: Einen stadtbekannten Tagelöhner, eine ortsfremde Westlerin und eine absolute Klapperkiste von Motorrad. „Das kannst du der Armen doch nicht antun“ – „Und du, was hast du dir nur dabei gedacht, mit ihm mitzufahren. Damit bist du ja morgen noch nicht da.“ Ich ließ sie lachen (auch wenn mir mittlerweile auch klargeworden war, dass Motorrad nicht gleich Motorrad war und sie wohl recht hatten) und verteidigte meinen Chauffeur. Immerhin handelte es sich, laut der Aufschrift auf den Seiten des Fahrzeugs, um ein „Super-Moto“- und was wäre besser geeignet gewesen als das.
„Echt mega, dass du das Motorrad hast reparieren lassen“, sagte Bathi, als wir wieder unterwegs waren. „Sonst wäre die Kiste wahrscheinlich nie wieder-“ und ich lüge nicht, wenn ich sage: Genau in diesem Moment blieb das Schrottding stehen. Da es sich nicht wiederbeleben ließ (meine 15€ würde ich wohl nie wieder sehen) mussten wir wohl oder übel umdrehen und zurück zu den Polizisten laufen. Da waren wir nun wieder. Zu einem unvermeidlichen ‚haben wir’s nicht gleich gesagt‘, setzten wir uns mit an den Straßenrand und warteten auf eine Mitfahrgelegenheit.
Während wir dort im Schatten saßen, beobachtete ich das Kontroll-Prozedere der Polizei, die die Motorräder und wenigen Autos auf dieser ruhigen Strecke anhielt. Ab und an wurde Quecksilber in einem Rucksack eines der jungen Männer gefunden (äußerst effektiv, um Gold zu binden, aber auch äußerst schädlich für Umwelt und menschliche Gesundheit). Die Männer mussten dann am Straßenrand stehen bleiben und warten, bis die Polizisten schließlich Gnade walten und die Jungs weiterziehen ließen, natürlich ohne das Quecksilber.
Während wir uns ein wenig unterhielten, stellte sich dann heraus, dass einer der beiden Polizisten aus Yeumbeul-Nord, dem Teil des Vororts von Dakar kam, in dem ich meine ersten Hauptstadttage verbracht hatte. Ich warf also mal den Namen meines einzigen Bekannten in den Ring und wie der Zufall es wollte, kannte der Polizist, hier auf einer verlassenen Landstraße im letzten Winkel des Landes, doch tatsächlich meinen Couchsurfer- den wir darauf erstmal direkt anriefen. Der Gendarme (angeblich gibt’s da ja einen Unterschied) erzählte mir dann auch, dass Billy gar nicht wirklich Billy hieß und anderen Gossip aus dem Viertel.

Schließlich konnten wir von zwei Motorrädern die restliche Strecke mitgenommen werden. Im Gegensatz zu unserem ‚Super-Moto‘, waren diese Fahrzeuge wirkliche Luxusgeräte und die beschleunigte Fahrt auf einem robusten, gepolsterten Sitz fühlte sich an wie Wellness. In Sabodala angekommen gingen wir als erstes zum Haus des Dorf-Chefs, um uns und mein Vorhaben vorzustellen. Der schickte uns dann weiter zum Dorf-Präfekten, den ich aufgrund seiner Abwesenheit aber nur über Telefon zu sprechen bekam. Er schien meinen Besuch nicht wirklich zu schätzen. Ich weiß nicht, an welcher Stelle wir falsch abgebogen waren, aber er fühlte sich durch meinen spontanen Besuch, ohne vorherige Ankündigung oder Genehmigung irgendwie auf den Schlips getreten und das ließ sich dann auch nicht mehr ausbügeln. Ich hatte schon damit gerechnet, nicht die Mine besuchen zu dürfen (auf meine Emails hatte ich von den Minengesellschaften erst gar keine Antworten bekommen). Ich wollte aber zumindest einige Ortschaften besuchen, die mit dem Goldabbau verwoben waren und Stimmungsbilder zum Status Quo und Meinungen zu den Plänen zur stärkeren Nationalisierung des Sektors einfangen. Schließlich wurden aktuell alle Minen von ausländischen Firmen betrieben.

Wir übernachteten erstmal in einem freien Bungalow, den wir vom Dorf-Chef zugewiesen bekamen. Am nächsten Tag wurde uns schon von den jungen Gendarmen an der Präfektur, mit denen wir noch den Abend über zusammen gesessen hatten, herangetragen, dass der Präfekt bald zurück sein würde und es wohl besser wäre, eine Begegnung mit ihm zu vermeiden. Das war mir dann doch zu blöd. Wenn wir hier nicht willkommen waren, würde ich meine Zeit auch nicht unnötig verschwenden. Da ich ja nun aber schonmal da war, ließ ich Bathi im Dorf die Lage beobachten und seine Weste weiß halten, während ich noch eine schnelle Abschlussrunde drehte. Ich machte ein paar Fotos im Dorf und vom Büro der Minengesellschaft und erkundigte mich bei ein paar Dorfbewohner:innen über das Verhältnis zur Minengesellschaft. Ein Motorrad, das vorbeifuhr, nahm mich außerdem mit bis zum Eingang des Minengeländes, von dem mich der Security-Mann dann doch tatsächlich Fotos machen ließ.

Wieder zurück hatte sich dann schon im Dorf herumgesprochen, dass da eine Fremde durch die Straßen lief und Fotos machte. Ich konnte den Dorf-Chef aber beruhigen, dass ich mich nur einvernehmlich mit Leuten unterhalten und alle Passant:innen auf den Fotos anonym gehalten hatte. Schließlich hatten wir einen ganzen Tag durch den Motorrad-Breakdown verloren und ich hätte mich ansonsten auch gerne mehr in die Dorfgemeinschaft integriert, wenn ich nicht gerade Zeitdruck gehabt hätte. Der Chef und Jugendpräsident fanden mein Anliegen dann doch löblich und versprachen, bei meinem nächsten Besuch, die Dorfgemeinschaft entsprechend in den WhatsApp-Gruppen zu informieren, damit sich niemand sorgen musste. Es hatte sich wieder einmal bewahrheitet, dass es einfacher war, sich im Nachhinein zu entschuldigen, als im Vorhinein auf eine Erlaubnis zu warten. Soweit zufrieden machten wir (Bathi schien seine Pläne erstmal verschoben zu haben) uns wieder auf den Heimweg nach Mako. Ich hatte nur noch ein paar Tage, um den Artikel zu schreiben und es stand noch ein Interview in Dakar an, deshalb war ich froh, als ich am nächsten Tag problemlos wieder zurück in die Hauptstadt kam…
