Senegal 01

Saint Louis, Dakar, die Jagd nach einem Parteibüro und unverhoffte Begegnungen im Parlament.

 

Grade als ich mein neues WG-Zimmer in Nouakchott bezogen hatte, verließ ich das Land.

 Im Senegal war es jetzt fast ein Jahr her, dass die Präsidentschaftswahlen stattgefunden hatten und ich wollte mich dazu ein wenig umschauen und vielleicht einen Artikel schreiben. Die Idee war mir spontan gekommen und ich dachte, ich würde maximal eine Woche weg sein. Letzten Endes wurde es ein Monat.

Saint Louis

Von Mauretanien aus war Saint Louis die erste Großstadt. Die Stadt ist unter anderem bekannt für ihr jährliches Jazz-Festival und die Altstadt mit ihren alten Kolonialbauten. Ich blieb dort drei, vier Tage in der WG von Djibril, einem Couchsurfer, bevor ich weiter nach Dakar fuhr.

An der Corniche

Mein erstes Couchsurfing-Zuhause dort lag in einem Vorort von Dakar namens Yeumbeul. „Mitten im Ghetto“ wie mir später von innerstädtischen Dakarer:innen gespiegelt werden sollte. Mein Host hieß Billy und war (nach eigenen Aussagen) Schauspieler und (und das wahrscheinlich ein stückweit häufiger) Maler/Lackierer.

In dieser Woche hatte er sich allerdings keine Arbeit vorgenommen und hatte deshalb mehr Zeit, um Fußball zu schauen und dabei seine Wetten in der App zu verfolgen. Wenn er all das gewinne, meinte er, müsste er noch mal vier Tage nicht arbeiten. Er gewann allerdings nicht – zumindest während ich da war. Ansonsten zogen wir viel um die Häuser und grüßten Leute. Zwei, drei Mal am Tag gingen wir eine Runde und klapperten alle Bekannten auf der Straße oder zuhause ab. Und Billy brachte seine Sneaker-Sammlung nicht umsonst auf Hochglanz, in seinem Viertel kannte man ihn. Er hatte einen Ruf zu verteidigen.

Billy

Sandwiches für alle
Kaffee

Es war Ramadan. Für die christliche Minderheit, zu der auch Billy gehörte, war dieses Jahr sogar zeitgleich Fastenzeit. Das bedeutete, auch er aß den Tag über nichts, bis 20 Uhr. Abends wurde dann kostenlos an mancher Straßenecke der senegalesische Kaffe Touba ausgeschenkt, wofür tagsüber in der Nachbarschaft Spenden gesammelt wurden.

So nett es auch im Viertel auch war, bis ins direkte Stadtgebiet von Dakar musste man jedes Mal schon eine kleine Reise unternehmen. Deshalb wechselte ich nach drei Tagen zu einem anderen Couchsurfer.

Und zwar von Billy zu Sily. Sily wohnte etwas zentraler im Stadtgebiet in einem Haus mit seiner Großfamilie.

Billy& Sily

In der ersten Nacht teilte ich mir das Zimmer mit einer Couchsurferin aus Uruguay, in den Tagen darauf wurde sie von zwei Mädels abgelöst, die auf einem Trip Richtung Sierra Leone waren. Sarah kam aus Deutschland und würde in Sierra Leone ein halbjährliches Praktikum antreten, ihre kenianische Freundin Feli war aus Dubai gekommen, um sie bis dorthin zu begleiten. Gemeinsam fuhren wir auf die an sich schnuckelige Insel Gorée, die heute jedoch vor allem als Gedenkort für den transatlantischen Sklavenhandel bekannt ist. Ein Haus, das sogenannte ‚Sklavenhaus‘ (maison des esclaves), ist dort für Besucher:innen geöffnet.

 

Eigentlich war ich ja aber mit einer Mission nach Dakar gekommen. Seit einem Jahr war die ehemalige Oppositionspartei Pastef an der Regierung und das war vor allem interessant, weil sie sowohl mit großem Zuspruch als auch mit großen Versprechen an die Macht gekommen war. Einmal gewissermaßen den Laden aufzuräumen: Korruption bekämpfen und wirtschaftliche und neokoloniale Abhängigkeiten abbauen. In Saint Louis hatte ich eine Rückmeldung von dem Magazin fluter bekommen, dass sie Interesse an einer kleinen Reportage darüber hätten.

Parteibüro

Deshalb hatte ich mir überlegt, die jüngste Parlamentsabgeordnete zu kontaktieren. Das erwies sich allerdings als gar nicht so einfach. Online konnte ich keinen Kontakt von ihr finden und weder von ihrer Ortsgruppe über Facebook, noch über die allgemeine Emailadresse der Partei bekam ich eine Antwort. Also beschloss ich, persönlich im Parteibüro vorbeizugehen. Aber auch das erwies sich als nicht einfach. Von den beiden möglichen Adressen, die ich im Netz gefunden hatte, stellte sich die eine als ein leerstehendes Hochhaus heraus, das aktuell saniert wurde, für die andere schickte mich Google Maps auf den Campus des Uniklinkums. Versteht sich von selbst, dass an beiden Orten kein Parteibüro zu finden war. Ich ließ es ein paar Tage gut sein, vielleicht würde ja jemand auf meine Email antworten. Weil mir aber immer wieder gesagt wurde, das Büro sei aber dort an der Schnellstraße VDN, wo jetzt das Haus leer stand, kehrte ich schließlich an den Ausgangspunkt zurück. Als ich mich in der Nachbarschaft durchfragte, wurde ich schließlich ein paar Blocks weitergelotst und dort war es dann tatsächlich: eine gänzlich unbeschriftete kleine Villa, in die die Partei vor ein paar Monaten umgezogen war. Von dem, was ich zu Gesicht bekam, wirkte das Haus ziemlich leer und noch recht provisorisch. An weißen nackten Wänden vorbei wurde ich in das Sekretariat geschickt, in dem ich einer jungen Frau, wahrscheinlich noch deutlich jünger als ich selbst, meine Frage stellte. „Anne Marie…“, überlegte die Sekretärin. „Also ich kenne sie persönlich nicht, deshalb habe ich auch ihren Kontakt nicht. Aber ich würd’s mal im Parlament versuchen.“ – „Im Parlament?“ – „Ja, vielleicht können die dir da weiterhelfen.“

Der Security-Mann setzte mich in den richtigen Bus und eine Stunde später stand ich am Besuchereinlass des Parlaments. „Hast du einen Termin?“, fragte mich der Security-Mann dort. „Nein, aber ich bin vom Parteibüro hierher geschickt worden.“ „Hast du einen Presseausweis?“ „Leider nicht dabei“ (ist auch allgemein schwierig bei Dingen, die man gar nicht besitzt). „Normaler Ausweis?“ Ich hielt ihm den Scan auf meinem Handy hin. Ich hatte ja nicht ahnen können, dass ich heute noch im Parlament landen würde. – Also falls ich reingelassen würde. Er schrieb jetzt meine Daten auf. „Madame oder Mademoiselle?“ Die Antwort schien ihn zu freuen. Nach ein paar weiteren Fragen zu meinem Familenstand und als schließlich eine Fake-Handynummer meinerseits über die Theke gewandert war, war ich im Parlamentsgebäude.

„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragte mich der Anzugträger, der mir in der Eingangshalle entgegen kam. „Also ich suche das Sekretariat oder jemanden, der mir eine Auskunft geben kann.“ – „Wie um alles in der Welt sind Sie hier überhaupt reingekommen?“ –

Nationalversammlung

Anscheinend war ich in dem menschenleeren Foyer direkt einem ganz hohen Tier in die Arme gelaufen. Ich kann mich im Nachhinein nicht mehr erinnern, aber auf dem Weg durch die Gänge erzählte er mir, was seine Position in der Partei war (stellvertretender Generalsekretär maybe?), dass er aber bald sein Amt abgeben würde, weil er die Nase voll hatte. Außerdem erzählte er mir, wo in Deutschland er überall gewesen war und dann waren wir auch schon da. Vor einem Raum mit hohen Holztüren bedeutete er mir Platz zu nehmen. Die Kommunikationsbeauftragte sei gerade in einem Meeting, wenn ich Zeit hätte, könnte ich aber auf sie warten. Dann verschwand er. Ich saß also und wartete. Ein paar Meter weiter war ein weiterer Eingang mit Sicherheitscheck. Während ich versucht hatte, mit dem Parteigenossen Schritt zu halten, war mir bewusst geworden, dass ich in meiner Tasche gerade eine Plastiktüte mit Obstabfällen von unterwegs durch die Nationalversammlung schleppte. Das kam mir irgendwie falsch vor. Eine ominöse Tüte jetzt aber in den Mülleimer hinter dem bewachten Sicherheitscheck zu platzieren, erschien mir wiederum noch verdächtiger. Als unauthorisierte Besucherin war die beste Strategie wahrscheinlich, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen. Egal, ich ließ die Tüte in den Mülleimer plumpsen. Der Mann hinter dem Fließband nahm davon glücklicherweise kaum Notiz.

Als die Kommunikationsbeauftragte schließlich rauskam, ging es dann ganz schnell. „Wen wollen Sie erreichen?“ Sie gab mir ihre Nummer. Ich sollte ihr den Namen und Informationen zu mir selbst auf WhatsApp schreiben. Ich war grade erst aus dem Gebäude raus, da hatte ich auch schon das WhatsApp meiner Abgeordneten.

Als ich die Abgeordnete Anne Marie Yacine Tine schließlich traf, wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Es war im Vorfeld nicht leicht gewesen, sie zu erreichen. Und auf meine Frage, ob ich sie mal einen Tag begleiten dürfte, hatte sich schlicht nicht geantwortet. Deshalb stellte ich keinerlei Nachfragen, als sie mir eines Morgens plötzlich schrieb, wo ich sie um elf Uhr treffen könnte.

Der Treffpunkt entpuppte sich als eine Agentur des Landwirtschatsminiteriums. Wir waren aber weniger für sie dort, als für den Koordinator ihrer Ortsgruppe, mit dem sie einige Parteiangelegenheiten zu besprechen hatte. Ich konnte ihr nebenbei in dessen Büro ein paar Fragen stellen, danach fuhren wir von zur nationalen Arzeneimittelbehörde, wo die beiden ein Anliegen für ihre Kommune einreichten.

Dann stand bei der 26- Jährigen noch eine Sitzung im Parlament an. Sie telefonierte ein wenig herum, um herauszufinden, ob ich mitkommen konnte und es wurde tatsächlich möglich gemacht.

Wenig später stand ich also wieder vor dem Parlament. Diesmal betrat ich das Gebäude aber grade heraus durch den Haupteingang und in Begleitung eines Schwalls von Abgeordneten, die zeitgleich mit uns angekommen waren. Unter diesen Menschen war auch ein bekanntes Gesicht. „Das ist eine Journalistin, die mich –“, wollte mich Anne Marie dem Mann gerade vorstellen. „Wir kennen uns schon“, erwiderte der und gab mir die Hand. – Es war der Parteigenosse, der mich bei meinem ersten Besuch aufgegabelt hatte. Jetzt musterte er mich ein wenig belustigt. „Wissen Sie, wir haben hier einen Dress-Code.“ Wusste ich nicht, aber bei genauerer Betrachtung sah ich tatsächlich wenig andere Leute in T-Shirt und Flipflops. Ich hatte ja aber fairer Weise wieder nicht wissen können, dass ich im Parlament landen würde. Trotz meiner unpassenden Erscheinung stellte mich die Anne Marie noch allen möglichen Leuten vor, bevor die Sitzung begann.

Anne Marie im Parlament

Während derer saß ich mit der Presse auf einem Balkon und ärgerte mich, dass ich mein Teleobjektiv nicht mitgenommen hatte. Außerdem stellte sich heraus, dass T-Shirts hier allein schon in Kombination mit der Klimaanlage ungeeignet waren.

Nach einer Stunde war die Sitzung dann aber auch schon vorbei. Ich konnte Anne Marie gerade noch zu ein paar Fotos überreden, dann rauschte sie davon und in den Feierabend.

Ich ging am Haupteingang noch einmal raus und wieder rein (wer wollte mich aufhalten?), um ein paar Fotos zu machen (wenn ich schon mal da war). Dann ließ auch ich mich im Feierabendverkehr durch die Stadt treiben.