Rap RIM – Der Sound Mauretaniens

 

„Den Staat kennen wir nicht. Er kommt nicht in unser Viertel./ Das Ghetto hat uns gelehrt zu teilen/ unsere Herzen zu öffnen und mit Würde zu handeln.“

Im Musikvideo zu seinem Song „Diadieuf“ (Wolof für ‚Danke’) steht Mozbi auf dem zentralen Platz seines Stadtteils, umgeben von einer Menge an Jugendlichen, die die offene Handfläche in die Kamera halten: Fünf. Das fünfte Viertel, auf Französisch Cinquième, ist der Ort, in dem der 29-Jährige als Moussa Niass geboren und aufgewachsen ist und wo er bis heute wohnt. Hier liegt Motorengeräusch in der Luft, Kinder spielen auf der Straße und Ziegen tummeln sich vor Häusern mit bunten Fassaden.

Mozbi in seinem Viertel

Sebkha, wie der weitere Bezirk heißt, liegt im Südwesten der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott und wird vor allem von Afro-Mauretaniern und westafrikanischen Migranten bewohnt. Das Image, das diesem Teil der Stadt anhaftet, ist ein negatives: Arbeitslosigkeit, Drogen, Kriminalität. Nachts meiden Outsider das Gebiet.

„Es ist eine hartes Pflaster“, sagt der Rapper. Viele Kinder gingen nicht in die Schule, einige seiner Freunde seien mittlerweile sogar im Gefängnis. „Sie hatten viel Potential, aber keine Gelegenheit, es einzubringen. Deshalb sind sie auf die schiefe Bahn geraten“, meint er.

Sebkha ist nicht der einzige Bezirk mit einem Mangel an Perspektiven und Versorgung. Auch in anderen Teilen der Stadt sieht man bis heute die Spuren ihrer unkontrollierten Expansion. Als Nouakchott 1958 kurz vor der Unabhängigkeit – aufgrund seiner zentralen Lage – zur Hauptstadt erklärt wurde, war es noch ein Dorf mit grade einmal ein paar hundert Menschen. Geplant wurde die Stadt daraufhin für 15.000 – 30.000 Bewohner. Nach Jahrzehnten der Urbanisierung, einigen Dürreperioden und dem Wandel von einer nomadischen hin zu einer weitestgehend sesshaften Gesellschaft  leben hier mittlerweile knapp 1.5 Millionen.

 

Wer kann, verlässt nicht nur das Viertel, sondern gleich das Land. Während sich Mauretanien selbst mittlerweile zum Hauptausgangspunkt für die westafrikanische Route Richtung Kanarische Inseln und somit nach Europa entwickelt hat, war unter jungen Mauretaniern zuletzt besonders die zentralamerikanische Route Richtung USA attraktiv. 2023 betrug die Anzahl mauretanischer Migranten, die an der Grenze zwischen den USA und Mexiko erfasst wurden, erstmalig rund 15.000. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Zahl mauretanischer Migranten in den USA auf nur etwa 8.000 insgesamt geschätzt.

Mozbi selbst denkt nicht daran, das Land zu verlassen. „Ich will Mauretanien durch Rap auf die Karte packen“, sagt er. In seinem Viertel hätte sich zudem in den letzten Jahren einiges gewandelt. Mehr Häuser wurden an die Wasserversorgung angeschlossen, Mittelstandsbauten zieren vermehrt das Straßenbild und die Jugend sei auf einem guten Weg. Seine Botschaft an sie: „Träume sind wichtig, aber es ist wichtiger, ein Ziel zu haben.“

 

 

„Rap RIM“ wird der mauretanische Rap genannt. ‚RIM‘ das steht für ‚République Islamique de Mauretanie‘, die islamische Republik Mauretaniens: Der großflächige westafrikanische Wüstenstaat mit gerade einmal 4,9 Millionen Einwohnern.

„2024 war das produktivste Jahr für den Rap RIM seit Langem“, meint Produzent Monzbeat, bürgerlich Moussa Diop. Mehrere Alben seien erschienen und viele Konzerte gespielt worden. „Die neue Generation ist motiviert“, sagt der 29-jährige.

Dabei ist die Szene nach wie vor überschaubar. Nicht zu vergleichen mit den großen Nachbarn Marokko oder Senegal. Nur eine Handvoll Labels machen hier von sich reden, die wenigsten Rapper sind über die Landesgrenzen hinweg bekannt.

Senegal ist vor allem für die afro-mauretanische Community ein kultureller Referenz-Rahmen. „Unsere beiden Länder werden ja nur durch einen Fluss voneinander getrennt“, sagt Monzbeat, der selbst zu der Ethnie der Haalpularen gehört, die über die Grenzen hinaus in Westafrika angesiedelt ist. „Wir fahren gelegentlich rüber für Auftritte oder Colabs und auch hin und wieder für Musikvideos oder Produktion.“

Der Produzent sitzt vor seinen Bildschirmen im eigenen Studio, das er sich mit Rapper Authentique teilt. Angefangen hat er damals 2011 alleine mit einem kleinen Computer in seiner Heimatstadt Kaédi im Süden Mauretaniens an der Grenze zum Senegal. 14 Jahre später ist er einer der gefragtesten Produzenten des Landes. Wenn er nicht selbstständig für individuelle Künstler produziert, arbeitet er für das Label 07 Productions, das vor allem Musik im Rahmen von regierungsnahen Aufklärungs- und Werbekampagnen produziert. Patriotische Texte, gesungen von Stars der traditionellen maurischen Musik, wie der Sängerin Garmi Mint Abba. In den Musikvideos sieht man Landschaftsaufnahmen und immer wieder die mauretanische Flagge.

„Jedes Jahr rund um den Nationalfeiertag kommen dann Musikvideos mit mehreren Sängern zusammen zum Thema nationale Einheit.“ Monzbeat öffnet ein YouTube-Video auf seinem Computer. „Sie packen dann ein, zwei Schwarze mit in den Song, um die Einheit zu symbolisieren und dann scheißen sie wieder drauf.“ Er deutet auf den Bildschirm. „Schau, den Rapper haben sie mit reingenommen, weil er sowohl Pulaar, als auch Wolof abdeckt. Ist wahrscheinlich billiger“, meint er verschmitzt. „So, das war’s jetzt. Nach seinem Part singen jetzt nur noch die Weißen bis zum Schluss.“

Die heimische Bevölkerung Mauretaniens lässt sich in drei Gruppen einteilen. Ein Drittel stellt die weiße Bevölkerung arabisch-berberischen Ursprungs, auch weiße Mauren oder Bidhan genannt. Diese Gruppe hält die meisten wirtschaftlichen und politischen Ämter und Schlüsselpositionen. Ein weiteres Drittel bilden die sogenannten schwarzen Mauren oder Haratins die ebenfalls Arabisch sprechen und Nachkommen der ehemaligen Sklaven der Bidhan sind. Die afro-mauretanische Bevölkerung, unter dem Sammelbegriff Soudans zusammengefasst, setzt sich schließlich aus westafrikanischen Ethnien zusammen, von denen die größten die Halpulaaren, Wolof und Soninke sind.

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Authentique und Monzbeat

Rap erfreut sich besonders unter der afro-mauretanischen Bevölkerung an Beliebtheit, Monzbeat arbeitet aber sowohl mit schwarzen als auch weißen Musikern und Labels. Sonst wäre es karrieretechnisch auch schwierig, sagt er. Außerdem genießt er allgemein die Abwechslung durch das Arbeiten mit verschiedenen Musikstilen. „Und Produktion brauchen schließlich alle“, sagt er und lacht.

Nicht nur die verschiedenen Ethnien hätten Gräben zwischen sich, meint Rapper Authentique, der es sich auf einem der Sofas im Studio bequem gemacht hat. Auch innerhalb der Ethnien gäbe es soziale Barrieren und Vorurteile. In seinem Song ‚Mi Waawa‘ geht es um die Ablehnung innerhalb der Community gegenüber einer Heirat zwischen Halpulaaren verschiedener „Kasten“. Die Message resoniert über die Landesgrenzen hinaus. Auf YouTube hat das Video dazu über 1,5 Millionen Aufrufe.

 

 

Das Ringen mit sozialer Zugehörigkeit kennt Rapper Ivan Houehanou, Künstlername „Le Baron“, nur zu gut. Als Sohn einer russischen Mutter und eines Vaters aus Benin gehört er zu keiner der ethnischen Communities des Landes. „Wenn du in Mauretanien Ivan heißt, ist das Leben nicht immer einfach“, sagt der 37-jährige. “Manche sind dir gegenüber dann voreingenommen. Wegen meiner Hautfarbe halten mich die Schwarzen außerdem schon mal für einen Araber, wenn die Araber mich hingegen reden hören, denken sie, dass ich schwarz bin.“ Er seufzt. „Die Hautfarbe sagt viel und manche Menschen beschränken sich darauf.“ Seine Texte schreibt der Künstler deshalb größtenteils auf Französisch. „Das ist für mich die neutralste Sprache. Damit singe ich weder für die einen noch die anderen.“

Für die Zukunft der heimischen Musikszene wie auch der mauretanischen Gesellschaft wünscht er sich Versöhnung. „Wir müssen die Mauern einreißen“, sagt er überzeugt. Aber dafür müsse zunächst ein gleichberechtigtes System geschaffen und zu allererst die Vergangenheit aufgearbeitet werden. „Einige Verantwortliche der Ereignisse von 1989 sind schlicht weg nie zur Rechenschaft gezogen worden“, merkt er an.

Damit bezieht sich der Rapper auf die Geschehnisse von 1989 bis 1991, die als Senegalisch-Mauretanischer Grenzkonflikt oder schlicht ‚die Ereignisse‘ zusammengefasst werden. Im Zuge dessen wurden unter anderem etwa 70.000 vermeintliche Senegalesen des Landes verwiesen, wobei fälschlicherweise ebenfalls zahlreiche schwarze Mauretanier in den Senegal abgeschoben wurden. Ein weiteres einschneidendes Erlebnis vor allem für die Community der Halpulaaren waren die Hinrichtungen während dieser Jahre im Zuge eines vereitelten mutmaßlichen Coup d’états, bei denen etwa 500 afro-mauretanische Soldaten getötet wurden. Den Höhepunkt bildete die Hinrichtung von 28 Soldaten am 28. November 1990, dem mauretanischen Unabhängigkeitstag, ein Jahrestag der seitdem für einen Teil der Bevölkerung für einen deutlich dunkleren Teil der nationalen Geschichte steht.

 

Rap als Stimme der Gerechtigkeit? In der Vergangenheit stieß dieser Vorstoß schon mal an seine Grenzen: Die mauretanischen Rap-Pioniere des Trios „Oulad Leblad“ (Söhne des Landes) veröffentlichten in den späten 2000er Jahren ein staatskritisches Album und allen voran einen Song, der den damaligen Präsidenten Abdel Aziz zum Rücktritt aufforderte. Im Nachgang wurde ein Mitglied der Gruppe unter Vorwänden festgenommen, die anderen flohen in den Senegal. Mittlerweile leben alle drei im Ausland.

Mit der Beziehung zwischen Rap und Staat ist es auch heute nicht so einfach. „Wir werden vom Staat schlicht nicht als Künstler anerkannt“, sagt Produzent Monzbeat. Rapper hätten es etwa besonders schwer als Berufsmusiker anerkannt zu werden und die damit verbundenen Interessen respektiert zu sehen. Rapper Authentique schiebt es auf das Mindset.  „In einer hundert Prozent islamischen Republik haben die Verantwortlichen ein vorbelastetes Bild von Rap. Für sie sind wir alle kriminell. Es geht uns also darum, unser Image zu korrigieren und positiv zu besetzen.“

Einige Künstler haben diese Motivation kürzlich gebündelt. Die Koalition kultureller und urbaner Akteure Mauretaniens (COACUM) hat sich 2024 zusammengeschlossen, um gemeinsam für Interessen wie für die Einrichtung eines Rechtsrahmens oder den Schutz des Urheberrechts zu streiten.

Trotzdem sei urbane Kultur in Mauretanien allgemein unterrepräsentiert, meint Breakdancer Ely Yannik Ahounou „Es gibt vielleicht ein paar Rapper. Aber keine MCs, keine Hip Hop-Kultur. Wenn du es wagen würdest, hier zum Beispiel Graffiti zu sprühen, hättest du schneller die Polizei auf dem Hals, als du den Finger von der Dose nehmen kannst.“

 

 

Rund fünf Autostunden von Nouakchott entfernt, an der Grenze zum Senegal, liegt das Dorf Thidé. Hier ist Hamatt Boye aufgewachsen, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Roi Hems. Der 41-jährige Rapper lebt mittlerweile seit 12 Jahren in Hannover, ist aber aktuell für die Einweihung eines Computerzentrums zu Besuch, das er mit Unterstützung der Deutschen Botschaft in seinem Heimatdorf realisieren konnte.

Sein dunkelroter VW Passat brettert über die Landstraße. Hems pumpt Sido: „Sie reden und reden vergeblich. Jeder zeigt wie es geht, doch ich seh’s nicht.“ Reisfelder ziehen vorbei, gelegentlich kreuzt ein Esel die Fahrbahn, die Lautstärke ist voll aufgedreht: „Ha haha halt dein Maul.“ – „Das ist meiner Meinung nach der beste Rapper Deutschlands“, erklärt er seiner Frau Malika und Rap-Kollegen Le Baron, die ihn begleiten. „Hat was, Rap auf Deutsch“, findet Le Baron. Nach ein paar Liedern ist er hooked.

Das Flusstal im Süden Mauretaniens ist der einzig signifikante landwirtschaftlich genutzte Teil des Landes, das ansonsten zu etwa 80% aus Wüste besteht. Wenn hier von Juni bis Oktober Regen fällt, wird die trockene Landschaft von einem satten Grün bedeckt. Noch aber wirbeln die rennenden Kinder Staub auf. Alle wollen die Rap-Delegation begrüßen, die in Thidé einfährt. Es ist in der Tat die Rückkehr des Königs. Rapper Roi (zu Deutsch König) Hems, der in Deutschland einem regulären Arbeitsalltag nachgeht, versammelt hier Massen. Der Dorfchor singt ihm zu Ehren, Schulkinder tragen seinen Namen auf ihren T-Shirts, in der weiteren Region kennen ihn alle. „In Deutschland kommt so viel Stress mit dem Alltag“, sagt Hems. „Hier aber habe ich meine Musik. Diese Atmosphäre fehlt mir.“

Allgemein ist es nicht unüblich, dass mauretanische Rapper auch auf dem Land unterwegs sind. Viele arbeiten mit NGOs zusammen, um die Bevölkerung zu Themen wie Umweltschutz oder Geschlechtergerechtigkeit zu sensibilisieren. Roi Hems betrachtet es als seine Verantwortung, sich für seine Heimatregion einzusetzen. „Viele Projekte sind nur möglich, weil wir uns einen Namen gemacht haben“, glaubt er. „Das haben wir Hip Hop zu verdanken. Ich glaube, wir können wirklich etwas zum Positiven wenden.“ Sein Traum ist es, in Thidé ein großes Musikfestival zu starten, mitten auf dem Fußballplatz der Gemeinde. Die Einweihung des Computerzentrums ist zumindest schon mal ein wichtiger Schritt für die Jugend des Dorfes, da sind sich alle einig. Und als Hems mit seinem Duo-Partner Abda MC bei einem kleinen Konzert eine Hommage an seinen Heimatort anstimmt, rappt das ganze Dorf im Chor.

 

 

 

Zurück in Nouakchott steht das Ereignis des Monats an. Es ist Samstagabend und vor der Inter-Arena in Sebkha geht hinter Absperrgittern die Sonne unter. Drinnen füllt sich die Arena langsam.

Der DJ spielt aller 10 Minuten denselben Song, während noch die letzten Handgriffe auf der Bühne erledigt werden. „The Big Diadieuf (Danke) Show“ hat Mozbi sein Konzert genannt. Befreundete Rapper sind ebenfalls angekündigt. Die meisten hier im Publikum sind selbst aus dem fünften Viertel und Umgebung gekommen. So auch Samba. Seit drei Jahren schon verfolge er Mozbi, sagt er. Seiner Meinung nach aktuell der beste Rapper des Landes. „Er ist mein Idol“, sagt der 20-jährige. „Er ist ein Ghetto Boy, der weiß was er macht und der für die Jugend da ist.“. Auch Jari freut sich auf das Konzert. „Die Stimmung ist super“, meint die Schülerin, die mit ihren Freundinnen gekommen ist. Sie ist zum ersten Mal auf einem Konzert, um ihren Lieblingsrapper Brxms zu sehen.

Mozbi

Gegen 22 Uhr ist es dann soweit. Die Rap-Elite der neuen Generation betritt die Bühne. Babs OG, Brxms, Authentique und schließlich Mozbi. Die Menge tobt. Zwei Stunden lang geben sich Rapper und Tanzgruppen in Tracht und in Zivil den Stab in die Hand. Dann wird um 00:01 Uhr der Stecker gezogen. Eine Gruppe Jugendlicher aus der ersten Reihe ist noch ganz aufgekratzt: „Mashalla das Konzert war krass, es war einfach super. Mozbi ist ein cinquième-Boy, wir sind Ghetto Men, deshalb supporten wir ihn.“

Solche Worte sind Balsam für Rapper Mozbi. „Meine Leute stolz zu machen, macht mich selbst stolz“, sagt er nach dem Konzert. „Schließlich geht es ja um sie in meiner Musik. Darum wo ich herkomme und was wir erlebt haben – um unsere Realität.“

 

  • Text erscheint in ähnlicher Form im Magazin zenith 2025/01 (c)