Nur 70 Kilometer von Marrakesch entfernt liegt Afrikas größtes Skigebiet. Das war mein nächstes Ziel. Ich war zwar noch nie in meinem Leben Ski gefahren, es lag aktuell auch gar kein Schnee, aber das sollte dem Ganzen nicht im Wege stehen. Erschwert wurde mein Besuch in Oukaïmeden nur dadurch, dass ich wissentlich in die entgegengesetzte Richtung gefahren war. Die Unterkünfte, die ich online dort gesehen hatte, waren mir zu teuer gewesen.

Deshalb hatte ich mir ein Bett in einer Herberge in einem Dorf in der Nähe gebucht. Nähe hieß in diesem Fall, wegen des Gebirges dazwischen, mindestens 3 Stunden mit dem Auto zurück Richtung Marrakesch und daran vorbei oder einmal über die Gebirgskette drüber. Ich entschied mich für Letzteres. Nur zwei Stunden würde das dauern, hatte der Betreiber meiner Unterkunft gesagt und mir angeboten, mich als Guide zu begleiten (ich war sowieso die einzige Gästin). Da sich einige Pfade aber auch auf Google Maps in der Satellitenansicht erkennen ließen und die Richtung soweit ja schon mal ziemlich vorgegeben war (hoch), wollte ich es erstmal allein versuchen.

Oukaïmeden im Hohen Atlas ist nicht der einzige Ort, in dem man in Marokko skifahren kann. Es hebt sich aber unter anderem durch seine Skilifte ab, die zwischen 2.600 und 3.200 Metern Höhe fahren. Unabhängig vom Schnee-Business verirren sich dort ansonsten das Jahr über auch einige Wander:innen hin und in den letzten Jahren hat sich das Dorf auch einen Namen als Boulder-Destination in Marokko gemacht.
Noch bevor die Sonne die Berge im Rücken des Tals hochgekrochen war, ging ich los. Wegen der Kälte trug ich die Hälfte meiner gesamten Kleidung als Zwiebellook. Sobald die Sonne in und das Dorf außer Sichtweite war, legte ich ein paar Zwiebelringe ab und versteckte sie zwischen ein paar großen Steinen am Wegesrand. Der Weg war manchmal recht eindeutig, dann wieder musste ich raten und lief ich da, wo es zwischen Steinen, Schotter und Pflanzen am besten ging. Nach etwa vier oder fünf Stunden, in denen mein „Weg“ mehr als ein Mal in einer Sackgasse versandet war, war ich schließlich da.


Das Dorf lag ziemlich verschlafen in der Nachmittagssonne. Schafe grasten auf der Wiese, ein paar Jungs spielten auf dem Fußballplatz, die Handvoll aneinandergereihten Cafés waren weitestgehend leer. Oukaïmeden schien so still zu stehen, wie seine sieben Skilifte.
Ich lief eine Runde, um mir einen Überblick zu verschaffen und nach einer Schlafmöglichkeit zu suchen. Denn meine Motivation, sofort wieder aufzubrechen, um es noch vor Sonnenuntergang zurückzuschaffen, hielt sich in Grenzen. Ich fand schließlich etwas Bezahlbares, bei dem ich den Besitzer noch von 22€ auf 15€ runterhandeln konnte.

Draußen fror ich mir mittlerweile mal wieder die Glieder ab (meine Zusatzkleidung verrottete ja unter irgendeinem Stein). Aber ich lief noch zu einer Stelle mit frühgeschichtlichen Felszeichnungen, die man hier ebenfalls sehen konnte, fand selbst allerdings keine sichtbare Zeichnung.

Ich wärmte mich schließlich bei einem Tee in einem der ältesten Hotels mit Restaurant im Dorf auf. Seit 1946 schon war ‚Chez Juju‘ Bestandteil des Ortes. Der ältere Herr mit der Supreme-Mütze, den ich für den Besitzer oder Manager hielt, erzählte mir, wie sich die Skisaison in den letzten Jahren verändert hatte. „In den 80ern war die Schneedecke hier noch viele Meter hoch.“ Mittlerweile käme der Schnee immer später und in geringerem Ausmaß. Seit vielleicht seit acht Jahren oder so sei das besonders spürbar. Und letztes Jahr habe es fast keinen Schnee gegeben.

Ohne Schnee natürlich auch kein Skitourismus. Das größte Hotel im Ort hatte sowieso seit Corona nicht mehr wiedereröffnet. Die restlichen Hotels und Herbergen kämen irgendwie über die Runden, meinte er. Ob sie dieses Jahr mit Schnee rechneten? „Hier ist meine Karte. Du kannst mich einfach anrufen, dann sage ich dir, ob schon Schnee liegt oder nicht.“

Beim Abstieg am nächsten Tag entpuppte sich der Schotter als mein Endgegner. Aber nach ein paar Stunden langsamen Laufens und Kriechens auf allen Vieren, schaffte ich es schließlich unbeschadet, wenn auch noch nicht ins richtige Dorf, zumindest schon mal zurück in mein Tal. Weiter zum Dorf, wieder den Hang hoch zu meinen Klamotten (die ich überraschenderweise wieder fand), wieder runter und zur Unterkunft. Dann war ich erstmal fertig mit der Welt.

Zu Fuß, mit Sammeltaxi, getrampten Motorrädern und einem LKW schaffte ich es am nächsten Tag direkt bis nach Ouarzazate.
Dort kam ich über Couchsurfing bei Younes und seiner Familie unter.

Der Raum, in dem ich schlief, war ein ehemaliger Taekwondo-Trainingsraum.
In der Stadt hatte die Familie noch zwei weitere Studios, in denen Vater und Söhne Kurse gaben. Bis auf die Mutter und die kleinste Schwester hatten alle in der siebenköpfigen Familie einen schwarzen Gürtel.


In den nächsten Tagen schaute ich mal beim Training vorbei und machte Fotos von den Kids. Ansonsten zeigte mir Younes die Stadt, wir verbrachten viel Zeit mit seinem Bruder Rahim auf der Dachterasse oder in Cafés, jede:r mit seinem Buch in der Hand. Younes war genau so alt wie ich und bekennender Atheist. Nach einigen Schlenkern im Leben arbeitete er aktuell um Geld zuverdienen vor allem in der Fliesenmanufaktur, die sein Vater gestartet hatte, frei nach seinem eigenen Zeitplan. Was ihn wirklich interessierte, war das Schreiben und vor Kurzem hatte er ein Buch mit Kurzgeschichten drucken lassen.


Ouarzazate ist unter anderem als marokkanisches Hollywood bekannt. Weniger wegen des Glamours, als wegen der Konzentration an Filmindustrie. Dort und im nächsten Ort Aït-Ben-Hadou war unter anderem für Game of Thrones, Gladiator, Prison Break und verschiedene Jesus-Filme gedreht worden.

Ich selbst verschob meine Filmkarriere aber erstmal auf später und machte mich auf den Weg zurück Richtung Küste.