Cabo Verde 1

Cabo Verde 1

Cabo Verde – Die kapverdischen Inseln. 600 Kilometer vor der senegalesischen Küste. Nachdem ich 2019 auf einem Stopp mit dem Segelboot hier gewesen war, hatte ich irgendwann noch einmal mit mehr Zeit zurückkommen wollen. Diese Zeit war jetzt. Meine Cousine Clelia würde aus Österreich kommen, um sich mit mir in der Hauptstadt Praia zu treffen und unseren Geburtstag zu feiern. Der 7. Mai ist nämlich nicht nur der Tag, an dem meine Mutter mich ins Licht der Welt gepresst hat, sondern ebenso ihre einzige Schwester, neun Jahre zuvor ihrerseits ihre einzige Tochter.

Auf Sao Nicolau


Insgesamt besteht das Land aus 16 Eilanden und zehn Inseln, von denen neun bewohnt sind. Nach zwei Tagen auf der Insel Santiago verbrachten wir eine Woche auf den Inseln Sao Vincente und Sao Nicolau im Norden der Inselgruppe. In Mindelo, zogen wir abends durch die Orte mit Livemusik und ansonsten durch die Ortschaften und Strände der Inseln. Ansonsten unterhielten wir uns viel mit chinesischen Ladenbesitzer:innen. Kleine Supermärkte, Elektromärkte oder Klamottenläden. Ohne offizielle Statistik dazu würde ich sagen, in so manchem Ortskern lag die Mehrheit solcher Geschäfte in der Hand chinesischer Kleinunternehmer. Da Clelia back in her day Chinesisch studiert hat, konnte sie dann auch im Small-Talk an der Ladentheke erfragen warum. Konnte man hier mehr Geld verdienen als in China? Denn wie man heraushören konnte, waren die wenigsten wegen des guten Wetters und des berüchtigt guten Aussehens der Bevölkerung hier. Stattdessen schien die chinesische Community vor allem unter sich zu bleiben (gemäß eigenen und fremden Aussagen. Mixed Kinder sah ich im Übrigen auch keine). Einige, mit denen wir sprachen, erwähnten zudem Heimweh und die Tatsache, dass sie sich mit dem lokalen Essen nicht anfreunden konnten. Und das Geld, das schien hier noch nicht einmal mehr zu sein. Zhongchao Ma, mit dem wir uns in seinem Minimarkt in Praia unterhielten, meinte, er habe einfach von Bekannten gehört, dass es hier Arbeit gebe und sei damals vor 20 Jahren mit 16 und ziemlich unwissend hergekommen. Aber in China könne man wahrscheinlich genauso Geld verdienen. Es käme einfach auf die persönliche Leistungsbereitschaft und das Durchhaltevermögen an, sein eigenes Business zu aufzubauen. Viele andere Läden waren Familienbetriebe. Durch Importe aus China oft rentabler als lokale Läden, die Ware etwa aus Europa importierten.

Wie sich herausstellte, war es tatsächlich schwieriger, sich zwischen den Inseln zu bewegen, als wir gedacht hatten. Fährenverbindungen bestanden nicht zwingend zwischen allen Inseln und im Fahrplan gab es oft nur eine Fahrt pro Woche, wobei man nie ganz darauf vertrauen konnte, dass sie dann auch wirklich fuhr. Da meine Cousine nur zwei Wochen insgesamt da sein würde und wir uns schon ein wenig umsehen wollten, hatten wir von Praia auf die nördlichen Inseln und zurück Flüge gebucht, aber auch das hieß noch nichts. Wie unser Vermieter auf Sao Nicolau uns mitteilte, war das Flugzeug der Insel aktuell kaputt und musste repariert werden. Die letzte Woche über waren deshalb alle Verbindungen gestrichen worden.
Da uns jedoch am Morgen unseres Fluges bisher keine andere Info erreicht hatte, machten wir uns auf den Weg zum Flughafen – und siehe da, quasi uns zu Ehren war der kleine mechanische Vogel wieder zum Leben erweckt worden. (Alle möglichen Absturz-Witze blieben einem jedoch unwillkürlich in der Kehle stecken, bis wir sicher gelandet waren.)

Wir hatten im Vorfeld in Praia keine Unterkunft organisiert und verschanzten uns nun im Flughafen-WLAN, um das nachzuholen. Ein wenig planungsmüde klickten wir uns durch Buchungsseiten, unfähig eine Entscheidung über den nächsten Aufenthaltsort auf der Insel zutreffen. Ein Angebot auf Airbnb stieß allerdings heraus. Ein Doppelzimmer mit Bad in einer Villa in Praias bester Lage, Esszimmer, große Wohnzimmer-Lounge und Pool für 26€ pro Nacht. Pro Person also 13€. Das war noch billiger als das günstigste Hostel in der Stadt. In der App gab es für diese „Davinci-Mansion“ allerdings noch keine Bewertungen. Clelia wettete, dass die Fotos schon lange nichts mehr mit der Realität zu tun hätten und das Haus mittlerweile zu heruntergekommen war, ich hielt es für einen Scam. Aber wir wollten es wissen. Ich schrieb dem Accountbetreiber („Davinci“- natürlich), um zu fragen, ob wir uns das Ganze mal ansehen könnten.

Wir fuhren also zu dem öffentlichen Platz, den er uns geschrieben hatte und warten. Davinci entpuppte sich schließlich als leicht bulliger Mann Ende 30, der einem beim Sprechen nie direkt in die Augen schaute. Während er uns jetzt ein paar Meter die Straße runter führte, überlegte ich schon, wie hoch die Chancen standen, dass ihn ein vollgepackter Reiserucksack gegen den Kopf überwältigen könnte, da bogen wir um die Ecke und: Da stand doch tatsächlich die Villa von den Fotos. Wir liefen die Auffahrt hoch, das Tor zur Einfahrt öffnete sich automatisch und vorbei an Mangobaum und dem beleuchteten Swimmingpool wurden wir in die Davinci-Mansion geführt. Die hatte der Besitzer nicht nur zu Ehren seines Idols benannt, sondern auch gestaltet. Gleich am Eingang wurde man sowohl draußen, als auch noch einmal am Treppenaufgang von einer lebensgroßen Zeichnung Davincis vitruvianischen Mannes begrüßt (diesem nackten Mann mit geometrischen Kreisen drumherum. In dieser Version befand sich der Modell-Mann in nichts geringerem als dem Zentrum von Ying und Yang). An die weißen Wände der Halle und des Wohnzimmers waren außerdem angebliche Zitate Davincis geschrieben worden. “Nothing strengthens authority so much as silence.” oder “Poor is the apprentice who does not surpass his Master.” Daneben: die Mona Lisa. Aber gut, abgesehen von der pathetischen Gestaltung, war an der Unterkunft und dem Mann nichts auszusetzen. Statt zum Einsatz kam der Rucksack also erstmal in die Ecke neben das Fenster mit Meerblick.

Antonio, unser Gastgeber, hatte sein Geld wie so vieler der Mitbürger:innen seiner Klasse im Ausland gemacht. In dieser Hälfte seines Lebens hatte er bereits in Portugal und den USA gelebt, in Shanghai studiert und für den kapverdischen Präsidenten gearbeitet. Mittlerweile besaß der Ingenieur mehrere Firmen, unter anderem im aufkommenden nationalen Sektor der Solarenergie.
Nachdem Clelia weg war, blieb ich noch für eine Woche in der Residenz, dann verließ auch ich die Höhle des Löwen.

Meiner Mutter war vom Betreiber der Kletterhalle ihres Vertrauens von einem deutschen Kletterer erzählt worden, der auf den Kapverden lebte. Da ich wie der Zufall es wollte da ebenfalls grade auf dem Weg auf diese Kapverden gewesen war, hatte ich ihn angeschrieben. Vielleicht interessierte sich ja ein deutsches Outdoormagazin für seine Geschichte. Mustafa lebte auf der Insel Fogo, einer Nachbarinsel von Santiago (der Insel von Praia) und meinte, ich könne gerne vorbeikommen. Fogo war die einzige Insel des Landes mit einem aktiven Vulkan und Mustafa lebte mitten im Tal des Vulkankraters. Von der Inselhauptstadt Sao Felipe fuhr man mit dem Minibus etwa eine Stunde, bis man den Nationalpark erreichte. Dann wurde die Erde schwarz und man befand sich in einer schroffen Mondlandschaft. In deren Zentrum: der Vulkan.

Gleich am Dorfeingang von Cha das Caldeiras hatte Mustafa mit seiner Familie eine Unterkunft eröffnet, die Casa Marisa. Dort kam auch ich jetzt unter. Ich würde ihn begleiten, wenn er mit ein paar Jungs aus dem Ort bouldern ging, ansonsten wollte ich Kaffeeplantagen und den Weinanbau im Tal sehen. Ich fühlte mich direkt wohl im Dorf. Ich wurde zu Hauswein oder Grogue (Zuckerrohr-Schnaps) eingeladen und mir wurde angeboten, ich könne hier direkt mein eigenes Funco bauen und da bleiben. In weniger als einer Woche könnte man ein solches traditionelles Haus bauen. Mustafa selbst lebte mittlerweile seit 18 Jahren hier. Davor hatte er in München, der Eifel und der Türkei gelebt und war in Kirgistan geboren worden. Er war, soweit ich das beurteilen kann, ein ziemlich professioneller Kletterer (unter anderem ehemaliger Europameister) und Bergsteiger-Guide, bildete hier in Cha das Caldeiras junge Menschen zu Guides aus und coachte sie im Bouldern.

Nach ein paar Tagen nahm ich die nächste Fähre zurück nach Praia. Unterkommen würde ich diesmal bei Thomas Müller.
Dieser Thomas Müller kam aus Sierra Leone und seine Fußballkarriere war irgendwo auf Regionalliga-Niveau versandet. Weil er aber Fan von Bayern Münchens Thomas Müller war, hatte er seinem pass-echten „Thomas“ auf Internetplattformen noch ein honorary „Müller“ hinzugefügt. Beziehungsweise ein „Mulla“ in adaptierter Schreibweise. Gefunden hatte ich ihn auf Couchsurfing.
Wenn ich schon nicht in die Villa zurückgekehrt war, wollte ich aber zumindest noch einen Hauch von High Society mitnehmen. Bevor ich Praia verlassen hatte, war auf den Werbetafeln der Stadt ein ganz bestimmtes Event angekündigt worden: Die Cabo Verde Music Awards 2025. Und wenn Cabo Verde für etwas bekannt war, dann wohl für seine Musik. Ich hatte also ein wenig herumtelefoniert, um herauszufinden, was eine unabhängige Nachwuchsfotografin tun musste, um zu der Veranstaltung zugelassen zu werden. Und am Freitagnachmittag vor den Awards konnte ich mir dann tatsächlich mein Presseschild abholen.
Die Preisverleihung fand auf dem Hafengelände der Stadt statt. In Anwesenheit der nominierten Stars und des Premierministers, Schulter an Schulter mit den gewöhnlichen Menschen, die ein Ticket ergattert hatten. Dieses Ticket brachte sie vorab sogar bis auf den Roten Teppich – denn schlicht für alle Besucher:innen führte der Weg über den Roten Teppich. Die Größe der Veranstaltung war in dem Sinne noch überschaubar und die Atmosphäre deshalb um so familiärer. Auf dem Weg zu den Sitzen vor der Tribüne, konnte man sich mit Freunden und Familie auf dem Roten Teppich fotografieren lassen und seine Fotos später über den Veranstalter herunterladen. Ich bekam also die kapverdische Musikelite aus erster Reihe zu sehen, was wahrscheinlich nochmal nicer gewesen wäre, wäre ich nicht so müde gewesen. Die Veranstaltung hatte offiziell um 20 Uhr begonnen, wobei die Gala selbst für 21 Uhr angesetzt war. Wegen technischer Probleme war es dann aber tatsächlich schon fast Mitternacht ehe das Event wirklich losging. Der Hauptpreis wurde dann um 4 Uhr morgens vergeben – Die Afterparty sparte ich mir.

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