Noch eine Geschichte aus dem Juli.
Ich will für ein paar Wochen im Sommer in Deutschland vorbeischauen und buche einen Flug von Dakar nach Barcelona. Da ich sowieso irgendwo umsteigen muss, habe ich beschlossen, noch eine Woche in Barcelona zu verbringen, genug Zeit für eine kleine Reportage. Das Thema: Räumungsfirmen explizit für Hausbesetzungen.
Auf meine Email-Anfragen an Firmen in Barcelona bekomme ich direkt eine positive Antwort.
Und so finde ich mich schon am ersten Tag in einem klinisch weißen Konferenzraum im Stadtteil Eixample wieder. An der Stirnseite der ansonsten nackten Wände prangt ein Foto, das eine Handvoll muskulöser Männer in Firmen-T-Shirts zeigt. Allesamt tätowiert und mit Vollbart. Die aufpolierte Men’s Health-Ästhetik, die sich im Übrigen auch durch den Internetauftritt zieht, wirkt fast schon KI-generiert. Es handele sich jedoch um die tatsächlichen Mitarbeiter, versichert mir der Chef der Firma, als er sich schließlich zu mir setzt. Er selbst ist Anwalt und hat die Firma vor acht Jahren gegründet. In Anzug und ohne Bart oder sichtbare Tattoos verkörpert sein Foto auf der Internetseite wohl die juristische Expertise neben der körperlichen Dominanz.
Das Gespräch ist freundlich. Jorge (irgendwie heißt der Chef von jeder Räumungsfirma, die ich gefunden habe, Jorge) erzählt mir von der Situation um Hausbesetzungen in Spanien und davon, wie schwer es für die Haus- und Wohnungseigentümer:innen sei, Hausbesetzer:innen loszuwerden. Und er betont mehrfach, dass alle Methoden der Firma völlig legal seien.
Darauf etwa, dass eine Vielzahl an Menschen während der Wirtschafts- und Immobilienkrise Ende der 2000er aus ihrem Zuhause vertrieben worden sind und sich seitdem eine Art der Besetzung leerstehender Wohnfläche aus Notwendigkeit etabliert hat, geht er nicht genauer ein. Vielmehr hebt er die organisierte Kriminalität derer hervor, die seitdem von der Wohnungsnot profitieren, indem sie die Schlösser leerstehender Wohnungen austauschen und die Schlüssel an Wohnungssuchende weiterverkaufen.
Der reguläre Weg über die Gerichte, um eine Besetzung räumen zu lassen, könne in Spanien mehrere Monate oder sogar Jahre dauern. Woran, wie ich in den nächsten Tagen immer wieder höre, auch eine kürzliche Gesetzesreform nicht viel geändert zu haben scheint. Deshalb das Aufkommen der sogenannten Anti-Okupa (Okupa= Besetzer:innen) oder Desokupa-Unternehmen.
Mein Couchsurfer fällt erstmal aus allen Wolken, als er erfährt, welchen Aspekt der Wohnungskrise ich mir für den Artikel ausgesucht habe. Er arbeitet für eine kommunale progressive Partei und hatte insgeheim gehofft, mich an seine Leute weiter verweisen zu können. Unabhängig davon aber weist er mich erstmalig darauf hin, mit wem ich es hier eigentlich zu tun haben könnte: Mit Faschos. Oder zumindest schon mal nach rechts offenen Schlägertrupps, glaubt er.
Mario
Ob ich mal jemanden bei einem ‚Hausbesuch‘ begleiten könnte, hatte ich den Chef der Firma gefragt. Er würde das intern weitergeben, meinte er nur. Jemand würde sich dann gegebenenfalls bei mir melden. Also lasse ich das Wochenende verstreichen, schaue mich ein bisschen in der Stadt um (schöne Architektur, viele Open Air-Veranstaltungen, mäßige Clubs) und hake dann nochmal nach. Ein Mario würde sich bei mir melden, heißt es dann. Es dauert noch einen Tag, dann meldet sich besagter Mario tatsächlich bei mir. Er sei grade losgefahren, sagt er unvermittelt in seiner Sprachnachricht. Wenn ich jetzt grade Zeit hätte, könne er mich unterwegs einsammeln.
Und so sitze ich wenig später auf dem Beifahrersitz eines weißen Lieferwagens. Im Fußraum liegen ein paar Flyer, auf den Außenseiten des Fahrzeugs klebt Werbung einer Firma für Glücksräder. Sein eigenes kleines Business, erklärt Mario, der sich zuvor als redefreudiger Um-die-40-Jähriger entpuppt hat. Und mit einem Lieferwagen könne man überall in der Stadt kurz halten.
Während er fährt, behält er den WhatsApp-Chat mit seinem Firmenkoordinator im Auge. Er wisse nie, was ihn an einer Adresse erwarte, sagt er. „Ich kriege zwar vorab ein paar Infos, aber wenn ich ankomme, kann es sein, dass die schon nicht mehr aktuell sind.“ Manchmal sei die Wohnung schon wieder weitervermietet worden. Manchmal fände er ganze Familien vor.
Aber die Lösung des Problems sei häufig dieselbe: Geld. Eigentümer:innen ließen sich darauf ein, einen gewissen Betrag an die Besetzer:innen zu zahlen, damit diese die Wohnung wieder verließen.
Heute hat er es mit einer Mieterin zu tun, die ihre Miete ausgesetzt, die Stadt verlassen und die Wohnung mutmaßlich untervermietet hat. Es ist ein erster Besuch.
“Ich werde den Mieter einfach fragen, wann er gehen kann. Er wird sich vielleicht verweigern und mich bedrohen. Vielleicht werde ich die Polizei rufen müssen“, meint Mario.
„Normalerweise werden sie mir gegenüber nicht gewalttätig. – Normalerweise. Aber wenn es dazukommt, dann ist Krieg“, sagt er. „Was machen wir dann?“, frage ich. Er schlägt sich mit der Faust in die blanke Handfläche. Normalerweise aber komme es wie gesagt nicht dazu. “Die meisten sehen mich und wissen schon, dass das keine gute Idee ist“, sagt der ehemalige Boxer und Personenschützer. „Aber könnte passieren”, schiebt er nach.“ Der Untermieter ist schließlich ein Südamerikaner.”
So offen wie Mario sich mir gegenüber gibt, könnte man meinen, ich sei einfach eine Praktikantin im Unternehmen.
Vor ein paar Jahren seien sie noch anders an die Sache rangegangen, erzählt er nun. Zu viert oder fünft seien er und seine Kollegen vor der Haustür aufgetaucht und hätten gezielt die Besetzer:innen eingeschüchtert. Diese Schilderung erinnert mich an Tiktok-Videos „der Konkurrenz“, die mir der Chef der Firma bei meinem Besuch im Büro gezeigt hat. Toughe Typen, die Türen eintreten und ratzfatz wieder „für Ordnung sorgen“. Als schlechte Show hatte der Chef das abgetan. „Für einen Fall kriegt unsere Firma etwa 3.000 Euro“, hatte er gesagt. „Meinst du, für 3.000 Euros riskiere ich ins Gefängnis zu wandern?“ Heutzutage könne man das nicht mehr so ohne weiters machen, meint auch Mario. Aber von Stimmen aus dem politischen Umfeld meines Couchsurfers höre ich da anderes.
Dann sind wir da. Auf Anweisung greife ich noch ein paar Sticker aus dem Handschuhfach. „Falls der Hausbesetzer nicht zu Hause ist“, erklärt Mario. Die Aufforderung unter Firmenlogo und Telefonnummer wirkt eher zynisch: „Für Angelegenheiten in Ihrem Interesse kontaktieren Sie uns“.
Aber der Hausbesetzer ist zu Hause. Im Treppenhaus zückt Mario seine Handykamera. „Immer alles aufnehmen“, sagt er dazu. „Dann kann uns im Nachhinein niemand was.“
Dieses Gespräch verläuft allerdings schon mal reibungslos. Die eigentliche Mieterin wird per Telefon dazugeschaltet und beide Beteiligten willigen ein, sich für eine gewisse Summe aus der Situation zurückzuziehen. “Das war Business”, lautet Marios Einschätzung. “Der Typ sagt, er sei mit der Mieterin befreundet, aber wusste nicht mal ihren Namen. Außerdem war sie bei ihm als „Chefin“ eingespeichert. Wahrscheinlich macht sie das professionell.”
Also wieder rein ins Glücksrad-Taxi. Als nächstes fahren wir zu einer älteren Dame am Stadtrand. Hier bin ich dann schon so weit eingearbeitet, dass Mario mich filmen lässt, sein Akku sei fast leer. Das Grundstück mit den drei kleinen Bungalows darauf, das schon den Eltern der Kundin gehört hat, ist groß, aber nicht groß genug, um die Familienprobleme in die Ecke zu kehren. Tochter und Nichte seien auf die schiefe Bahn geraten, erzählt sie. Gerade durch die Bekannten, die sie mit nach Hause brächten, fühlt sie sich in ihren eigenen zwölf Wänden nicht mehr sicher. „Wir finden schon eine Lösung“, beruhigt sie Mario, nachdem wir uns einmal alles angesehen haben. Vielleicht könne die Firma einen Investor finden, der das Grundstück kaufen und so die Mädels rausschmeißen könne. „Siehst du, die Leute sind richtig dankbar, wenn wir kommen“, meint er danach. „Die Oma ist mir direkt um den Hals gefallen: ‚Danke Mario!'“ Dann fährt er mich wieder zurück ins Stadtzentrum.
Nächster Tag.
Zunächst recherchiere ich ein wenig zur spanischen Gesetzeslage in Bezug Hausbesetzungen und das Recht auf Wohnraum. Dann finde ich, dass ich genug getan habe und erstmal ausnutzen sollte, dass mein cineastischer Couchsurfing-Host so viele Streaming-Dienste abonniert hat. Währenddessen warte ich auf das Go von Mario.
Gegen 17 Uhr schreibt er mir dann, er könne mich in einer halben Stunde am Plaça Catalunya abholen. Heute steht ein Fall etwas außerhalb von Barcelona an. ‚Im Dorf‘ wie er sagt, was sich letztendlich eher als Vorstadt entpuppen wird. 50 Minuten Fahrt sind genug Zeit, um mich genauer über den Fall zu briefen: Die Wohnung gehört einem spanischem Piloten, der sie vor einiger Zeit gekauft hat und nun zu seinem Hauptwohnsitz machen möchte. Besetzt wird die Wohnung von afrikanischen Migranten. Ein recht unkomplizierter Fall, meint Mario. Er war schon mehrmals dort. Samba, einer der beiden Bewohner, sei sehr kooperativ und hielte die Wohnung in gutem Zustand. – Das sei nicht selbst verständlich, betont Mario. Gerade erst heute Vormittag habe er eine Wohnung mit einem Haufen Marokkaner aufgelöst. Das seien Zustände gewesen… (Er hätte mich nicht mitnehmen können. „Zu gefährlich.“)
50 Minuten sind auch genug Zeit, um näher ins Gespräch zu kommen.
Wir unterhalten uns ein wenig über mich und mein Leben, dann frage ich ihn, was seiner Meinung nach nötig wäre, um den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu überwinden.
Die Regierung sollte endlich Wohnungen bauen lassen, findet er. „Sozialen Wohnungsbau, Wohnungen für junge Leute, für Migranten… alles.“ Und andere Länder müssten mitziehen, damit eben nicht die ganze Welt immer nach Spanien käme.
“Grade gibt es aber nichts als leere Versprechungen”, sagt Mario. „Den Politikern spielt es in die Karten, dass Leute statt auf neuen Wohnraum zu warten, einfach Wohnungen besetzen.“
„Wie Samba“, nimmt er nochmal Bezug auf den heutigen Fall. „Du wirst gleich sehen, wie sauber seine Wohnung ist. Man könnte meinen, er sei der Besitzer.“
Und wie sollte seiner Meinung mit Hausbesetzungen umgegangen werden? “Ich würde harte, starke Gesetze einführen“, verkündet Mario. „Wenn du in mein Haus eindringst, kann ich dich rausschmeißen oder töten.“
„Und wenn du weißt, dass ich dich erschießen werde, gehst du gar nicht erst rein. In den Vereinigten Staaten gibt es keine Hausbesetzungen”, behauptet er.
Ob er sich irgendwo bei den politischen Parteien in Spanien wiederfindet? „Vox. Ganz klar, seit Tag Eins.“ – „Das sind die Rechten?“, gleiche ich unsere Einschätzungen vorsichtig ab. „Die Rechtsextremen“, sagt er ohne Umschweife. Und sich selbst würde er noch weiter rechts einordnen. „Als… Faschisten?“ frage ich. Er wiegt das Wort kurz auf seiner Zunge. Wie einen Löffel Suppe, den es abzuschmecken gilt. „Fast. Ja… Fast.“ Es schmeckt ihm.
„Jeder in seinem Land. Organisiert und geordnet.“
Wir fahren über die Autobahn. Draußen prasselt der Regen an die Fensterscheibe. Drinnen Mario und das Navi, das zwischendurch dazwischenquatscht.
Bei den nächsten Wahlen hielte er es zum ersten Mal für möglich, dass Vox die Wahl gewinnen könnte. „Die Menschen sind es leid, dass ihre Kinder vergewaltigt und ausgeraubt werden.“ – „Achtung, Blitzer in einiger Entfernung.“ – „Dass Migranten hier wie die Bestien in unser Land einfallen.“ Alles sei außer Kontrolle.
„Wenn ein Arzt aus Marokko kommt“, führt er aus, „ist er willkommen. Aber ein Verbrecher, der soll in seinem eigenen Land stehlen. Die wissen schon, dass sie bleiben können, wenn ein Gerichtsprozess läuft.“ – „Einen der linken Fahrstreifen benutzen.“ – „Sie stehlen dein Handy und warten an der nächsten Ecke darauf, dass die Polizei kommt und sie verhaftet. Im Gefängnis gehen sie dann ins Fitnessstudio und wenn sie rauskommen, haben sie sogar noch nen Uniabschuss.“
Aber das seien seine privaten Ansichten, nicht die der Firma. Glaubt er nicht, dass seine Kollegen seine politische Überzeugung teilten? „Nein, nicht unbedingt“, überlegt er. „Aber die Kunden, die uns beauftragen, die Opfer, die ganz bestimmt.“
Er schildert Situationen, wie er meint, sie in seinem Arbeitsalltag zu Gesicht bekommen.
„Wenn man eine 80-jährige Dame sieht, die im Zimmer ihres Enkels lebt, weil ihr ein Marokkaner oder ein Latino das Haus gestohlen – und sich dort mit Plasmafernseher und Whirlpool eingerichtet hat, dann würde natürlich niemand sagen: ‚Der arme Marokkaner, der mit dem Boot kommen musste‘. Verdammt du Mistkerl, du hast einer alten Frau das Zuhause genommen. Natürlich ist es in den Nachrichten netter, die Sachen anders darzustellen. Aber ich würde die Leute gerne zu der 80-jährigen Dame mitnehmen und sie das sehen lassen.“
„Glaubst du, wenn du nie in diesem Job gearbeitet hättest, hättest du heute die selbe politische Haltung?“, frage ich. Er überlegt einen Moment. „Nein, vielleicht- .. Ich glaube, weniger stark.“
„Den rechten Fahrstreifen nehmen, um rechts abbiegen“, meldet sich wieder das Navi. Mittlerweile sind wir in einem Wohnviertel angekommen. Mario schlägt eine Fahrspur ein. „Ich glaube, da vorne erst“, sage ich mit Blick auf das Navi. „Ne ne, das ist hier“, meint er selbst bestimmt. Schlussendlich fahren wir noch eine zehnminütige extra Schleife, unkommentiert.
Angekommen stehen wir vor einem Wohnhaus mit etwa fünf Stockwerken, nur ein paar Schritte weiter von einem senegalesischer Kulturverein. Wir klingeln. Ganz oben geht ein Fenster auf, dann werden wir rein gebuzzed. Mario lässt sein Handy in die Hosentasche gleiten. „Diese Interaktion filmen wir nicht.“
„Wie geht’s denn?“, fragt er oben den 42-Jährigen in dem mehr als abgetragenen T-Shirt an der Tür. „Das ist eine Freundin, die heute mitgekommen ist“, stellt er mich vor. „Habt ihr Hunger?“, fragt Samba. „Es gibt Reis mit Soße.“ Er habe schon gegessen, sagt Mario. Aber er bemerkt mein Zögern: „Du kannst ruhig was essen, wenn du Hunger hast.“ Diese glückliche Fügung nehme ich gerne an.
„Sag mal, aus welchem Land kommst du?“, fragt Mario Samba, als wir uns an den Tisch gesetzt haben. „Senegal.“ – „Ah, wir sind grade an dem senegalesischen Kulturverein vorbeigekommen, was für ein Zufall.“ Und dann an mich, weil er noch im Kopf hat, dass ich doch letztens irgendwo in Afrika unterwegs war: „Kannst du Senegalesisch?“ Samba und ich wechseln ein paar Small-Talk-Wortbausteine auf Wolof und alle freuen sich darüber. Als ich dann das aufgewärmte Mafé in mich reinschaufele, besprechen die beiden das Organisatorische. Freitagmittag, in zwei Tagen, soll Samba die Wohnung geräumt und verlassen haben. Für die Sachen seines abwesenden Mitbesetzers will er nicht verantwortlich sein, also schlägt Mario vor, sie erstmal beim senegalesischen Kulturverein zu lassen. Ansonsten leistet Samba keinerlei Widerstand. Der Besitzer der Wohnung hat bereits zugesagt, ihm 1.500 Euro zu zahlen. „Wenn er mehr geben kann, nehme ich das auch gerne“, sagt er. Mario, der weiß, dass Samba in den Senegal fliegen will, um seine Mutter zu beerdigen, sagt, er werde sehen, was er tun könne.
Dann geht Mario nochmal gründlicher auf Kontrollgang. Er tigert durch die Zimmer, macht ein paar Fotos und immer wieder gratuliert er Samba dazu, wie sauber die Wohnung doch sei.
Im Auto, vor dem Losfahren, telefoniert Mario dann eine Weile mit dem Besitzer der Wohnung, um ihn auf den neusten Stand zu bringen. Sprachlich entgeht mir einiges, aber ich merke trotzdem, dass Mario jetzt im Gespräch etwas andere Töne spuckt, als eben noch in der Wohnung. Immerhin bringt er den aufgebrachten Typen am Ende der Leitung wieder ab von der Idee, gewaltbereite Hooligans auf die Wohnung loszulassen. „Nazi-Hooligans“, erklärt mir Mario danach. „Glatze, Springerstiefel, all das. Kennt die anscheinend persönlich.“ Aber dann winkt er ab. „Das würde er sowieso nicht wirklich machen. Der sagt das nur so.“
Wir machen uns wieder auf den Weg zurück Richtung Barcelona.
„Ich kann dem Besitzer ja nicht sagen, wie nett sein Hausbesetzer doch ist“, sagt Mario schließlich. „Dass die Wohnung sauber ist und dass er dir zu essen gegeben hat… Für ihn ist das ja ein Krimineller.“ Aber er habe ihm noch ein paar hundert Euro extra für Samba abringen können. „Der hat das nötiger“, sagt er dazu. „Aber das Opfer hier ist und bleibt ganz klar der Besitzer.“
Der Regen hat mittlerweile aufgehört, grau ist es immer noch. „Siehst du“, sinniert Mario. „Nachher werde ich ins Bett gehen, in dem Wissen, dass ich heute einem Afrikaner geholfen habe. Auf Kosten des Spaniers. Aber ich kann das mit meinem Gewissen vereinbaren. Der Besitzer gibt das mal eben so aus, wenn er sich im Urlaub nen Jetski mietet. Dem tut das nicht weh.“
„Damit kann Samba dann in den Senegal fahren. – Und gleich dableiben. Wenn es nach mir ginge, wäre er ja gar nicht erst hier.“
Schuld an allem seien im Übrigen die Linken findet er. „Die lassen die Leute einfach ins Land und können sie dann nicht versorgen.“ Er deutet auf einen Lieferanten auf einem Fahrrad, den wir überholen. „Schau mal, der kriegt vielleicht 5 Euro pro Stunde.“ – „schwarz.“, werfe ich ein. „Genau. Weil er nichts anderes machen kann. Das ist doch kein Leben.“ Mit einer rechten Regierung würde es so etwas nicht geben, sagt Mario.
„Du bist auch rechts, oder?“
Wie er wohl zu diesem Schluss gekommen ist. Vielleicht, weil ich bisher kaum etwas zum Thema gesagt habe. Er hat selbst schon so viel Mitteilungsbedarf, dass, sobald ich versuche etwas einzuwerfen, sich in ihm die nächsten Worte bereits anstauen wie die Kohlensäure in einer Coladose, die man versehentlich geschüttelt hat. Und ich lasse ihn übersprudeln, denn eigentlich möchte ich ja auch nicht diskutieren, sondern hören, was er wirklich denkt.
Oder vielleicht kommt er zu diesem Schluss, weil wir uns menschlich eigentlich ganz gut verstehen.
„Links tatsächlich.“ – „Wirklich. Wieso das denn?“
Dann diskutieren wir doch noch ein bisschen, aber weder zu Einkommens- und Vermögensungleichheit (M: „Wenn man den Reichen hilft, helfen die wiederum der Bevölkerung.“), noch zu den Nachwirkungen des Kolonialismus oder Sozial- und Integrationsmaßnahmen kommen wir auf einen gemeinsamen Nenner.
„Ich habe dich überzeugt, oder?“, fragt Mario trotzdem. – „Nein. So einfach ist das nicht“, sage ich etwas amüsiert. „So schnell ändert man ja nicht seine Weltanschauung.“ – „Du bist noch jung“, meint er. „In deinem Alter war ich auch noch naiv.“
Dann redet er weiter. Erzählt von dem einen Mal, als er in Marokko war und er dort kein Schweinefleisch bestellen konnte. Dabei sei das ja nur für ihn selbst gewesen. Die Muslime hätten es ja deswegen nicht essen müssen. Aber so sei das in anderen Ländern. Die hätten ihre Sitten und man müsse die dann akzeptieren und sich anpassen oder eben gehen. Nur hier in Spanien wolle man es mal wieder allen Recht machen. Und dann gebe es eine muslimische Kirche nach der anderen und ganze Stadtviertel, in denen niemand ein Wort Spanisch spreche. Er würde ja auch nicht nach England auswandern, mit seinen drei Worten Englisch.
„Warum benehmen sich die Deutschen zu Hause eigentlich nicht so wie im Mallorca-Urlaub?“ bemerkt Mario. – „Gute Frage“, sage ich.
Das sollte man mal sehen, was passieren würde, wenn er sich im Gegenzug betrunken, Oberkörper frei in Berlin bei einem Taxi auf die Windschutzscheibe werfen würde, überlegt er. Verhaftet würde er werden.
Man dürfe sich eben nicht alles durchgehen lassen…
„Jetzt habe ich dich überzeugt.“ – „Nein.“ – „Vielleicht ein bisschen“, schließt er die Verhandlung schmunzelnd ab und ich sage nichts mehr dazu.
