Nach einer ganzen Weile in Barcelona wurde der Ruf der Straße wieder lauter. Pia, meine Freundin aus Berlin, mit der ich erstmal gemeinsam reisen und hoffentlich den Ozean bezwingen werde, war inzwischen auch dazugestoßen. Also machten wir uns am 11. Dezember auf den Weg Richtung Portugal. Wir hatten Glück und kamen ziemlich schnell bis nach Saragossa. Und zwar mit Fernando1, Fernando2, (einem weit gereisten gebürtigen Mexikaner mit einer Schwäche für den Schwarzwald) und Juan (und seinem kleinen Van, den er Tatanka (free spirit) getauft hatte. Er stellte Lederwaren (Gürtel, Portemonnaies, Schmuck,…) her, die er dann verkaufte. Alleine und seit er sechzehn war. Er hatte nie etwas anderes getan.

Jeder einzelne der Familienväter, die uns Richtung Saragossa mitgenommen hatten, hatte eine gewisse berühmte Kirche erwähnt, die dort stand. Trotzdem waren wir erstmal kurz überwältigt, als sie dann am anderen Ufer vor uns aufragte. Es stellte sich außerdem heraus, dass Saragossa kein kleines Kaff mit einer kleinen netten Dorfkirche auf dem Dorfplatz, sondern die fünftgrößte Stadt Spaniens und Hauptstadt der dortigen Region Aragonien war. Den Abend verbrachten wir mit Andrea, unserer Couchsurfing- Gastgeberin, und einem (unglaublich deutschen) Freund von ihr, beide Erasmus-Studierende, in einer Bar.

Am nächsten Tag stießen wir auf das bisher beste Trampschild. Aber anscheinend hatten wir damit das Trampglück auch schon verbraucht, denn es nahm uns den ganzen Tag lang niemand mit. Das einzige, was passierte, war, dass wir auf dem Weg von einer Tankstelle zur Autobahn von der Polizei angehalten wurden. Delikt: Jugendliche Schönheit. Es hatte doch tatsächlich jemand aus einem der vorbeifahrenden Autos gedacht, wir seien minderjährig und deshalb die Polizei gerufen. Es folgten eine kurze Passkontrolle und die ewige Durchgabe der ganzen Personalien. Nach diesem abenteuerlichen Einsatz sprangen die zwei furchtlosen Polizisten dann wieder genauso actionfilmreif über den hüfthohen Zaun zur Straße, wie sie gekommen waren, und entließen uns auf Bewährung in die Freiheit.
Den Abend verbrachten wir bei Carlota, einer süßen jungen Waldorf -Lehrerin, die in einer ebenso süßen Einzimmerwohnung wohnte und ihren Lebenssinn in Biodanza, einer Art spirituellen Tanztherapie, gefunden hatte.
Den nächsten verregneten Morgen begannen wir mit einem regional typischen Frühstück in einer kleinen Bäckerei, in Gesellschaft einer älteren Dame, die uns die anwesende Dorf- bzw Stadtteilsgesellschaft näher erläuterte. Was die Reise betraf, sahen wir uns aufgrund des Wetters und des erfolglosen vergangen Tages allerdings gezwungen, zu härteren Methoden zugreifen. Also entwarfen wir eine chronologische Übersicht aus Blablacar-Mitfahrgelegenheiten nach Madrid, die noch zwei Plätze frei hatten und machten uns daran, diese abzuklappern. Oder besser: Unser riesiger Pappfreund und wir waren kurz vor der Abfahrtszeit immer zufällig genau am jeweiligen Abfahrtsort auf der Suche nach einem Auto mit dem selben Ziel, wie das uns in der App angezeigte Modell. Allerdings fanden wir leider auch beim zweiten Ort das Auto nicht und mussten uns eingestehen, dass der unfehlbare Masterplan bisher nicht allzu erfolgreich gewesen war. Doch gerade da kam ein anderes Auto aus dem menschenleeren Hotelparkplatz-Gelände, vor dem wir standen, gefahren und machte einen letzten Zwischenstopp vor uns auf dem Weg nach Madrid. Anscheinend belohnt der liebe Gott die kreativen Sünden sofort. Unser Fahrticket, das riesige Schild, das mir inzwischen auch als Matratze und als Regenschutz gedient hatte, mussten wir leider zurücklassen.
In Madrid schliefen wir bei Liz, einer coolen Lady aus LA und ihrem Mitbewohner, beide aus den Staaten gekommen, um dort für ein paar Monate in einer Schule zu unterrichten.

Auf unserem Streifzug durch die Stadt am nächsten Abend liefen wir an einem Supermarkt vorbei, der ein paar Tonnen einfach offen zugänglich vor die Tür gestellt hatte. Ehe wir uns versahen, pickten wir gemeinsam mit einem obdachlosen Pärchen die besten Stücke heraus. Die beiden waren extrem fürsorglich und boten uns immer wieder herausgefischte Schätze an. Und während sein Freund noch einem dazu gestoßenen Obdachlosen Essen anbot und ihn durch die Mülltonne führte, versuchte uns der andere davon zu überzeugen, ihn eine Tüte für uns kaufen zu lassen. Doch wir lehnten ab, verabschiedeten uns von unseren neuen Freunden und zogen weiter mit unserem Essen für den nächsten Tag.
Schließlich gerieten wir in einer Straße mit einigen Bars, vor denen sich freitagabendtypisch einige Menschen angesammelt hatten. Vor einem Laden bleiben wir kurz stehen. Wie die anderen Bars wurde er von den typischen Menschenklecksen verziert. Aber es war keine Bar. Es war ein nachtaktiver Klamottenladen und die Leute, die ihn zierten, wirkten bei genauerer Betrachtung auch deutlich dekorativer und individueller gestylt, als die typische Bargesellschaft. Nachdem wir eine Weile nur stumm die Szene beobachtet hatten, ohne daraus schlau zu werden, beschlossen wir einfach, den anderen Hipstern ins Hintere des Ladens hinterherzulaufen, als hätten wir jede Berechtigung dazu.
Als uns schon einer der Verantwortlichen wieder rausschmeißen wollte, wurde der Veranstalter hinzu gerufen, der sich uns als Sänger („I\’m very gay. Not only a singer, I am an artist, I am art myself.“) vorstellte, der seine neue Single präsentierte. Er lud uns ein zu bleiben und so wurden wir Teil des kleinen Backstage-Konzerts, das für ein paar Freunde gab. Wenn er nicht gerade von einer anderen befreundeten Sängerin begleitet wurde, wurde sein Gesang lediglich von der Klängen einiger YouTube-Videos untermalt (inklusive der vorausgehenden Werbesekunden.)
Am nächsten Tag war die nächste Etappe der Strecke erst einmal nach etwa 12 km schon wieder beendet. Nachdem wir nach einer kleinen Ewigkeit dann aber doch aus dem Kaff befreit wurden, lief es geschmeidiger. Und so gelangten wir unter anderem mit dem Wohnmobil eines segelbegeisterten angehenden Wasserpolizisten und mit einem verletzten Huhn in einem Karton, bzw. im Auto dessen Besitzers, in dem wir mit dem Fahrer lauthals zu Queen sangen, nach Mérida.
Dort richteten wir uns ziemlich schnell im lokalen Burgerking ein (warm, Sitze, Gratis WLAN, Steckdose, zur Adoption freigegebene Pommes, endlos melkbarer gratis Kola-Automat, Spiele-Paradies für Kinder,…) Besonders letzteres zeigte bei genauerer Betrachtung einiges an ungenutztem Potential und so hockten, als die Türen für die normalen Gäste geschlossen wurden und das Putzen anfing, zwei ausgewachsene Mädchen in einer blauen Plastik-Kletter-Röhre versteckt. Gegenüber kauerten zwei riesige Rucksäcke in einer anderen Plastik-Verwinkelung.
Nach ein, zwei Stunden Putz-Session zu lautem Reggaeton, ging das Licht aus und wir waren allein. Der Plan war einfach dort zu schlafen, aber vorher mussten noch das Klo und der Kola-Automat genutzt werden. Als wir uns nun aber auch nur einen Zentimeter aus dem Play King heraus bewegten, ging der Alarm los. Regungslos verharrten wir in unserer Plastikfestung, darauf gefasst, dass sie jeden Augenblick vom SEK gestürmt und eingenommen würde. Doch nichts geschah. Die Bewegungsmelder reagierten auch noch beim zweiten und dritten Versuch, -aber auch hierbei folgte darauf: nichts. Als uns dann aber die Reflexion an den Wänden doch das Gefühl gab, von Polizei-Blinklicht umstellt zu sein, beschlossen wir uns wenigstens mit leerer Blase und voller Kolaflasche festnehmen zu lassen. Danach nahmen wir unser Zeug und gingen ergeben nach unten vor die Glasscheibe. Nur um zu sehen, dass die vorgefahrenen Polizisten ohne auch nur jegliche Notiz von uns zu nehmen irgendwann wieder in ihr Auto stiegen und wegfuhren. Anscheinend hatten sie genug getan. Am nächsten Tag war allerdings Sonntag und der Burger König würde erst spät öffnen. Also beschlossen wir, die Pyjama-Party zu verschieben und warteten. Irgendwann kamen dann Menschen an den Glastüren vorbei, die sich für uns auf der Treppe drinnen interessierten und somit wurde wieder mal unser Freund und Helfer gerufen. Dieser schrieb uns erstmal Zettelchen für die Scheibenkommunikation, bis der Schlüssel eintraf. Nachdem wir uns unsererseits ausreichend über das Einsperren beschwert hatten, wurden wieder einmal unsere Personalien durchgegeben. In der Zwischenzeit bekamen wir von einem anderen Polizisten Tipps für Sehenswürdigkeiten (inklusive Wegbeschreibung) weil dieser nicht durchgehen lassen wollte, dass wir von dem römisch geprägtem Mérida bisher nur eine Brücke und den Burger King gesehen hatten. Da es vier Uhr nachts war und wir sowieso nichts zu tun, geschweige denn einen Schlafplatz hatten, als wir entlassen wurden, folgten wir diesem Sight seeing Plan dann sogar tatsächlich.

Am nächsten Tag schafften wir es dann mit einem philosophischen LKWfahrer ohne LKW irgendwann endlich nach Portugal. Aber auch nur in das Zentrum von Elvas, dem etwa ersten Ort hinter der Grenze. Dort waren wir allerdings so erfolglos, dass wir uns, als es dunkel wurde, von einem halb tauben Opa in einem winzigen, zerbeulten Blechauto mit Ladefläche und Katze auf die spanische Seite zurück fahren ließen, nur um am Ende schließlich doch in einem (übrigens unserem ersten) Hotel in Elvas zu landen.
Am nächsten Tag beschlossen wir dann ein Blablacar zu nehmen, um uns endlich aus Elvas befreien und nach Lissabon bringen zu lassen.
In Lissabon öffnete uns dann Pias Halbbruder die Tore zu seiner großen modernen Wohnung, der die Hauptstadt nahezu gebieterisch zu Füßen lag. Dort lebte er seit Kurzem mit seiner Verlobten, einer grade den Sprung geschafften Schriftstellerin, mit einer Vorliebe für Dinnerparties (in deren Genuss auch wir kommen sollten), und ihrem kleinen Sohn.

Unser Plan für Lissabon war, in den Häfen der Stadt Jagd auf Segelboote zu machen, die den Atlantik überqueren würden und einen Platz zu ergattern. Die Aussichten in den Häfen entpuppten sich als beschränkt. Die Saison war da, die Schiffe nicht. Oder nicht mehr. Jene Boote, die da waren, würden es auch bleiben. Diejenigen, die es wagen wollten, waren schon aufgebrochen und uns also einen Schritt voraus.
Während unserer Tage in Lissabon verlor ich mein Handy, wurde wegen Schwarzfahrens dramatisch in Handschellen von der Polizei abgeführt und wir zogen wegen anderer Weihnachtsgäste, ins Strandhaus der jungen Familie.
Das Häuschen lag nur eine Düne hinter dem Meer, aber gleichzeitig eine 7€ lange Anreise von Lissabon entfernt. Also entschlossen wir uns schließlich nach ein paar Tagen am Meer, für das gleiche Geld ein Hostel in der Stadt zu nehmen, schließlich mussten wir regelmäßig die Häfen abklappern. An Weihnachten gingen Pia und ich zur Feier des Heiligen Abends essen und erkundeten neue Ecken der nächtlichen Stadt.
Nach vier Nächten im Hostel, in denen sich immer noch keine guten Aussichten an den Häfen abgezeichnet hatten, buchten wir eine Fähre von Südspanien nach Teneriffa, um dort unser Glück- bzw. Boot zu finden.