Atlantis. Ein sagenumwobenes, mystisches Inselreich, das laut Platons Erzählung innerhalb „eines einzigen Tages und einer unglückseligen Nacht“ im Meer versank. Die ersten Bilder, die einem dazu in den Kopf kommen, beinhalten wahrscheinlich keine Wüste. Bei einigen mehr oder weniger sogenannten Theoretiker:innen ist das jedoch anders. Atlantis, bzw. seine Überreste, so die Behauptung, befände sich mitten in der heutigen mauretanischen Sahara. Diese ist bei weitem nicht die einzige Theorie darüber, wo Atlantis zu finden wäre. (Auf Wikipedia gibt es einen ganzen langen Artikel dazu: „Lokalisierungshypothesen zu Atlantis“).

Das Besondere an dieser Behauptung ist allerdings die Optik. Mitten in der mauretanischen Wüste befindet sich die Richat Struktur (auch Guelb er Richat oder Auge der Sahara genannt), ein kreisförmiges Ring-Konstrukt, das man bei 45km-Durchmesser sogar aus dem All noch gut erkennen kann (weshalb es angeblich sogar von Austronaut:innen zur Orientierung genutzt wird). Das Königreich in Platons Erzählung besteht wiederum aus einer Handvoll Land- und Wasser-Ringe irgendwo jenseits der Straße von Gibraltar. – Deshalb das Rabbit Hole.

Nach dem Trip mit dem Eisenerz-Zug war ich als erstes weiter in die Region Adrar gefahren. In diesem mit touristischsten Teil des Landes befinden sich (außer Wüste) einige Oasen und zwei der vier antiken Städte Mauretaniens, die zum Unesco-Weltkulturerbe des Landes gehören. Außerdem liegt dort das Auge der Sahara. Zunächst aber verschlug es mich auf eine Dattelpalmen-Plantage, die eine halbe Stunde außerhalb der Verwaltungshauptstadt Atar ein paar Schotterpisten hinunter Richtung Nirgendwo lag. Couchsurfing natürlich. Der Host war Ende 30, Ingenieur von Beruf und sah aus wie der mauretanische Sky du Mont. In seinen freien Tagen kümmerte er sich nebenbei um seine Gärten und Tiere. Die Tiere waren in diesem Fall Ziegen und ein Kamel, das sich jedoch, da es mit ihnen aufgewachsen war, ebenfalls für eine Ziege hielt.


Eigentlich hatte der Host angeboten, dass wir nach einem Tag auf der Plantage zusammen weiter Richtung Chinguetti fahren könnten. Dort wollte ich als nächstes hin und er selbst wohnte normalerweise dort. Dann aber zögerte er seine Abreise immer weiter hinaus und da wir nicht direkt ans Straßennetz angeschlossen waren, saß ich solange gewissermaßen fest: Unter Palmen mit Sky du Mont, den Ziegen und dem Transkamel – immerhin bei schöner Kulisse. Nach drei Tagen reichte es mir allerdings und ich pochte darauf, dass mir ein Shuttle in die Stadt organisiert wurde. Von dort nahm ich ein geteiltes Taxis nach Chinguetti.

Chinguetti: Was klingt wie eine italienische Kleinstadt mit Weinbergen ist in Wahrheit eine der vier Unesco Weltkulturerbe Städte in Mauretanien. Eine Kleinstadt ist es zudem auch, nur Weinberge gibt es nicht. Ich übernachtete in einer Herberge, die einem Bekannten von Sky du Mont gehörte. Außer mir war zeitgleich nur noch ein Jacques aus Frankreich da.

Obwohl es recht viele Unterkünfte in der Stadt gab, sah ich in den nächsten Tagen allgemein kaum weitere Touris. Ich erfuhr allerdings, dass jeden Samstag ein Direktflieger aus Frankreich in Atar landete, von wo aus die Gruppen dann einmal für ein paar Tage durch die Region gekarrt wurden.
Ich besuchte eine der alten Bibliotheken, in denen Familien seit Generationen jahrhundertealte Manuskripte aufbewahrten. Zeugnisse aus einer vergangen Blütezeit der Stadt. Nach seiner Gründung im 13. Jahrhundert war die Chinguetti lange eine wichtige Station des Transsaharahandels sowie ein Ziel für religiöse Pilger.
Ansonsten trank ich Tee: Vor allem mit dem Betreiber der Herberge in besagter Herberge oder mit seinen Freunden oder mit dem Betreiber der Herberge bei seinen Freunden.
Außerdem starteten Jacques aus Frankreich und ich eine kleine Expedition in die Wüste, um eine singende Düne zu finden. Man hatte uns erzählt, dass die Düne Geräusche von sich gab, wenn man ihren Sand aufhob. Spoiler: wir fanden sie nicht. In Anbetracht der schieren Anzahl an Dünen in der Wüste vielleicht auch weniger verwunderlich. (Wenn man quasi die Wüste vor lauter Dünen nicht sieht…)



Stattdessen fanden wir ein Camp von einer Reiseagentur, die Wüsten-Retreats mit vegetarischem Essen anbot. Gemäß dem, was uns der Verantwortliche bei ein paar Gläsern mauretanischem Tee (natürlich Tee) erzählte, waren diejenigen, die davon angezogen wurden… ich würde sagen: Hippies. Für ihn selbst schienen sie auf gewisse Weise soziologische Beobachtungsobjekte darzustellen. Für den Kamelhüter hingegen, der in seinem Leben noch nie das Land verlassen hatte, waren es wohl praktisch Aliens – wenn er nicht allgemein davon ausging, dass alle Europäer:innen regelmäßig tausende Euro in die Hand nahmen, um dann singend in der Wüste um irgendeinen Baum zu tanzen oder wochenlang schweigend alleine in einem Zelt zu sitzen.


Nach ein paar Tagen in Chinguetti zog es mich weiter nach Ouadane. Die Altstadt von Ouadane war ebenfalls eine der Unesco-Stätten und ein paar Kilometer weiter hinter dem Ende der Straße lag das Auge der Sahara.
Auf meinem Weg raus aus Chinguetti lernte ich am Straßenrand Luba und Igor kennen, die seit Jahrzehnten per Anhalter um die Welt reisten und ebenfalls nach Ouadane wollten. Das Auto, das mich schließlich mitnahm, hatte jedoch erstmal nur Platz für eine Person. Die junge Frau, mit der ich mir den Beifahrersitz teilte, war auf dem Weg nach Ouadane, um dort zu heiraten. Die Familie, die sie begleitete (eine Frau, vielleicht die Schwester, drei Kinder und ein Mann der das Auto fuhr) hatte sie aus den westsaharischen Polisario-Camps in Algerien bis hier her begleitet. Kurz bevor sie mich mitgenommen hatten, war jedoch etwas am Auto kaputt gegangen, weshalb wir nun deutlich entschleunigt (in dem ohnehin bis oben hin vollgepackten Auto) unterwegs waren. Für eine Strecke von offiziell zwei Stunden brauchten wir etwa fünf. Luba und Igor, die noch ein/zwei Stunden länger auf eine Mitfahrgelegenheit hatten warten müssen, überholten uns unterwegs.

In Ouadane angekommen organisierte ich mit den zweien einen Ausflug zur Richat Struktur für den nächsten Tag. Zelda, die Lady, die die Herberge führte, brachte uns und einen weiteren Gast in ihrem Auto dorthin.

Lange hatte man gedacht, die Struktur sei durch einen Meteoriteneinschlag entstanden. Mittlerweile bezieht sich die verbreitetste Theorie allerdings auf – zugegebenermaßen viele unverständliche Fachbegriffe, von denen ich nur ‚Magma‘, ‚Intrusion‘ und ‚Erosion‘ verstanden habe, womit ich mich persönlich allerdings erstmal zufrieden gebe. Weniger Genügsame können hier nachlesen.

Ring für Ring fuhren wir schließlich hinein bis mitten ins Herz des Auges (bzw. die Pupille haha). Über schwarzen Schotter und Sand. Nur Weite, Fahrtwind und gelegentlich ein Esel. Von der Erhebung im Zentrum aus war der Ausblick natürlich nicht vergleichbar mit einem Blick aus dem All, aber immerhin einen kleinen Ausblick bekam man. Luba und Igor hatten außerdem ihre spirituellen Antennen aufgestellt (im übertragenen Sinne) und meinten, sie spürten die Besonderheit des Ortes.

Nachdem alle Fotos gemacht worden waren, stiegen wir von der Erhöhung in der Mitte, um wieder einmal Tee zu trinken. Diesmal bei einer ursprünglich nomadischen Familie, deren Haus mitten im inneren Ring stand. Laut Zelda wohnten sie mittlerweile dauerhaft dort und verkauften gelegentlich Schmuck und Kleinkram an Tourist:innen. Ansonsten verirrte sich kaum jemand dorthin. Vorräte müssten sie aus der Stadt besorgen, so Zelda. Manchmal schickte sie selbst auch etwas aus Ouadane zu ihnen, wenn ein Auto in die Richtung fuhr.



Als Nächstes ging es für mich nach Terjit, eine Kleinstadt mit einer bekannten Oase. Ein Stück weit wurde ich von einem australischen Klempner auf Reisen bzw. seinem Guide und Fahrer mitgenommen, danach von einer dreiköpfigen Familie, die happy schien, ihr Englisch üben zu können. Ich blieb nur einen Tag und schloss mich einer italienischen Reisegruppe an, um die Oase zu besichtigen. Und mitten im Oasen-Park zelteten tatsächlich auch zwei bekannte Gesichter: Igor und Luba. Also wieder mal Tee trinken, diesmal aber nicht im Shotglas, sondern eine gute russische Portion. Ein letztes Mal sah ich die zwei am nächsten Tag auf der Straße nach Nouakchott, dann zogen sie an mir vorbei.


In Nouakchott, der Hauptstadt, mietete ich mich erstmal in ein Hostel ein. Jetzt war es an der Zeit, ein halbes Kilo Sand aus meinen Haaren zu entfernen. Außerdem hatte ich in der Wüstensonne tatsächlich Sonnenbrand auf den Augen bekommen (entweder das oder ich war allergisch gegen meine Sonnenbrille). Und ich freute mich erstmal wieder auf das Großstadtleben. Und zwar so sehr, dass ich direkt auf Wohnungssuche ging. Nach drei Monaten mehr oder weniger durchgängigem Reisen wollte ich erstmal eine Weile an einem Ort bleiben. Nächstes Kapitel also: Nouakchott.